XLIX Récits et témoignages des Allemands de Russie sur la Seconde Guerre mondiale

Heinrich Dorn:

"Der zweite scharfe Einschnitt in meinem Leben ereignete sich 1941/42. Der Krieg, der im Sommer 1941 ausbrach, änderte alles und brachte das Leben gänzlich aus dem Gleis. Gleich nach Kriegsausbruch wurde ein Teil der Kolchosarbeiter zum Bau eines Flugplatzes abgeordnet. Wir hatten mitzuhelfen, die Landebahn zu bauen. Ende August 1941 kam dann der Befehl, dass alle Deutschen das Wolgagebiet zu verlassen hätten. Ich erinnere mich noch sehr genau an den Artikel in den „Deutschen Nachrichten". Dort war zu lesen, dass es unter den Deutschen im Wolgagebiet Spione und Feinde der Sowjetunion gäbe, die gemeinsame Sache mit den deutschen Faschisten machen würden. Deshalb sei die Deportation erforderlich. Wir verstanden das nicht. Wo sollten die Spione und Sowjetfeinde sein?

Am Tag der Deportation herrschte in Paulskoje und den anderen Orten ein fürchterliches Durcheinander. Überall waren Soldaten. Ein Offizier kam zu uns auf den Hof. Er riss aus einem Schreibheft eine Seite heraus und vermerkte darauf, was wir alles zurücklassen mussten. Es waren eine Kuh, einige Schweine und die ganze Einrichtung, die zum Haus gehörte. Darunter kam ein Stempel. Das war die Eigentumsbestätigung, oder besser gesagt der Enteignungsbeleg. Wir durften nur 25 kg Gepäck mitnehmen, ein paar Kleidungsstücke und ein bisschen zum Essen. Es war verboten, Tiere zu schlachten. Diese blieben sich selbst überlassen. Als wir dann auf dem Treck zur Bahnstation durch Dörfer kamen, die schon vorher ausgesiedelt worden waren, sahen wir chaotische Zustände. Das Vieh hatte die Zäune und Gatter durchbrochen und lief frei über die Felder. Vielerorts Tierkadaver, umherirrendes Vieh und dessen Gebrüll. Diese gespenstischen Bilder haben sich tief in mein Gedächtnis eingegraben. Wenn ich an meine Kindheit im Wolgagebiet denke, dann erscheint mir auch dieser schreckliche Tag des Abschieds.

Wir wurden ins Gebiet von Nowosibirsk deportiert. Die Russen im Dorf Asorna wollten zunächst mit uns nichts zu tun haben. Sie begegneten uns ausgesprochen feindlich. Sie glaubten, wir kämen direkt aus Deutschland. Von Wolgadeutschen hatten sie noch nie etwas gehört. Auch über unsere Aussiedlung waren sie nicht informiert. Wir wurden mit Zwang der Behörden bei ihnen einquartiert. Erst als wir dann den dortigen Arbeitskollektiven im Kolchos zugeordnet wurden, normalisierte sich in der gemeinsamen Arbeit allmählich das gespannte Verhältnis. Doch ich blieb nur ein knappes Jahr in Asorna. Im Frühjahr 1942 musste auch ich ins Arbeitslager."

Katharina Torno:

"Jäh wurden meine Schulzeit und die beginnende Jugendzeit durch den Befehl Ende August 1941 unterbrochen, dass alle Deutschen das Wolgagebiet innerhalb weniger Tage zu verlassen hätten. Alles ging sehr schnell. Ich erinnere mich an die Deportation nur noch wie an einen schlechten Traum. Wir konnten nur das Allernötigste mitnehmen, etwas zum Essen und ein wenig Kleidung, so viel, wie wir in ein paar Koffern und Körben tragen konnten. Wir wurden mit Fuhrwerken an die Wolga gebracht, dort setzte uns eine Fähre zum östlichen Ufer über, bevor wir dann zum nächsten Bahnhof gefahren wurden. Der Zug war sehr lange unterwegs, über eine Woche. Oft blieb er auf Bahnhöfen stehen, wir mussten manchmal einen ganzen Tag lang warten. Wo es hinging, wussten wir nicht. Irgendwohin nach Osten, nach Sibirien, hieß es unbestimmt. Schließlich kamen wir - von der langen Reise gezeichnet - im Altai-Gebiet an. Wieder standen Pferdefuhrwerke bereit, die uns vom Bahnhof in weit entfernte Dörfer brachten. Wir hatten insofern Glück, als unsere Großfamilie, also auch die Familien der Brüder meines Vaters, zusammen in den gleichen Ort kamen. Viele andere verwandte Familien hatten ein solches Glück nicht; sie wurden auseinandergerissen.

Im Dorf lebten Russen. Ich erinnere mich deutlich, dass wir ziemlich lange auf der Dorfstraße warten mussten. Ich hielt meine kleine Schwester im Arm, sie war erst drei Monate alt. Eine Russin sah uns. Sie hielt mich für die Mutter meiner kleinen Schwester. Vielleicht gab das den Ausschlag dafür, dass sie uns mit in ihr Haus nahm. Die Frau hatte schon ihren Mann im Krieg verloren. Die Aufnahme von Deutschen bereitete ihr sichtbar Überwindung. Trotzdem gab sie uns gleich etwas zum Essen, ein Stück Kürbis und ein paar gekochte Kartoffeln."

Ida Schmidt:
Ida Schmidt:

"Im Sommer 1941 gastierten wir wie in jedem Jahr mit unserem Tanzensemble in verschiedenen Städtchen und Dörfern des Wolgagebietes. Ende Juni kam der Krieg auch zu uns ins Land. Die deutschen Truppen hatten die Sowjetunion überfallen. Es herrschte Ungewissheit und Angst unter den Menschen. Dennoch musste das Leben in den Gebieten, die weit von der Front entfernt waren, ja weiter gehen. Das Tanzensemble in der Deutschen Wolgarepublik änderte etwas sein Programm. Das Fröhliche und Ausgelassene wurde entsprechend der allgemeinen Situation abgeschwächt, ernste und getragene Programmteile traten hervor. Dem Erfolg unserer Darbietungen tat das keinen Abbruch. Zu unseren Vorstellungen auf Dorfplätzen zu  ebener Erde oder auf notdürftig errichteten kleinen Bühnen in den Städten kamen nach wie vor viele Leute. Es freute uns, dass wir auf unsere Art und Weise einen Beitrag zu den Verteidigungsanstrengungen leisten konnten, von denen das ganze Land geprägt war. Ende August ging unsere Tour zu Ende. Ich erinnere mich noch genau an den offenen Lastwagen, mit dem wir in die Stadt Engels zurückkehrten, wo wir und unser Ensemble zu Hause waren. Wie unter Künstlern üblich, herrschte aufgrund unseres Erfolges gute Stimmung. Es wurde gesungen und immer wieder erzählte jemand von uns eine Schnurre oder etwas Lustiges. Das änderte sich abrupt, als wir in Engels, unserem Standort und unserer Heimatstadt, ankamen. Zuerst verstanden wir überhaupt nicht, warum die dort verbliebenen Kollegen in großer Verzweiflung waren. Sie redeten wild aufeinander und auf uns ein. Einige weinten. Es war eine chaotische Situation. Ich brauchte einige Zeit, um das Wichtigste zu verstehen. Er war von ganz oben gekommen, aus Moskau, der Ukas. Darin stand, dass wir alle, die Russlanddeutschen, innerhalb von 24 Stunden die Stadt zu verlassen hätten. Der Krieg mache das notwendig. Unter der deutschen Bevölkerung im Wolgagebiet gäbe es viele Spione und Verräter, die die deutschen Faschisten unterstützen würden oder mit ihnen beim weiteren Vorrücken der Front zusammenarbeiten könnten. So lautete die offizielle Begründung für den Befehl zur Deportation. Meine Kollegen und ich, wir fühlten uns wie vor den Kopf geschlagen. Weg von hier, wohin, für wie lange? Weg von hier, wohin, für wie lange? Wir Verräter? Spione unter uns? Diese Fragen kreisten im Kopf. Es gab keine Antworten.

Nach einer Zeit der Fassungslosigkeit ging ich dann zu meiner Schwester Valeria, bei der ich damals wohnte. Sie und ihre Familie sowie unsere Tante waren schon dabei, das Wenige zusammenzupacken, das uns erlaubt war mitzunehmen. Ein paar Kleidungsstücke, Wolldecken und einiges Werkzeug, darunter ein Beil und eine Säge. Tante schlachtete die Hühner. Das Fleisch legte sie in einen Eimer und bestrich es mit Schmalz, damit es wenigstens eine kurze Zeit konserviert blieb. Am nächsten Morgen standen schon die Pferdegespanne auf der Straße. Dort hatten wir unsere Habseligkeiten für den Transport zum Bahnhof abzulegen. Alles andere mussten wir zurücklassen, die gesamte Einrichtung des Hauses, darunter das noch fast neue Klavier, auf dem meine Schwester und mein Schwager so gern gespielt hatten. Auch die Haustiere blieben zurück, die Ziege und die Katzen.

Es dauerte fast den ganzen Tag, bis der Güterzug zur Abfahrt bereit war. Und wir, die Mitglieder des Deutschen Theaters, des Symphonieorchesters und des Tanzensembles, hatten den Vorteil, zusammen in einem Waggon unterzukommen. Der Bürgermeister von Engels, der als Deutscher auch mit dem Zug weg musste, hatte dies veranlasst. So blieb ich mit meiner Schwester, ihrer Familie und meinen Kollegen wenigsten vorerst zusammen. Als der Zug langsam aus dem Bahnhof fuhr und ein Teil der Stadt noch einmal an uns vorüberzog, verstummten die Gespräche. Jeder von uns war mit sich allein. Die Zukunft lag wie eine schwarze Wand vor uns, nichts war zu erkennen. Unsere Gedanken wanderten zurück. Jeder schaute wohl auf sein bisheriges Leben. Ich war 20 Jahre alt. Mein Leben als Erwachsene außerhalb der Familie hatte gerade erst begonnen.

...Sollte das nun alles mit der Deportation ein jähes Ende finden? Wird es uns weiter möglich sein, künstlerisch zu arbeiten? Das Diplom hatte ich von der Musikschule noch nicht bekommen. Darüber grübelte ich, während uns der Zug jeden Tag ein Stückchen weiter nach Osten, nach Sibirien brachte. Im Waggon wechselte tiefe Traurigkeit ab mit plötzlichen Heiterkeitsausbrüchen. Künstler können in der Gemeinschaft wohl nicht immer traurig sein. Wenn der Zug wieder einmal auf einem Bahnhof oder im freien Gelände für längere Zeit Halt machte und wir ausstiegen, griff einer zum Akkordeon oder zur Balalaika und spielte etwas Lustiges. So trat wenigstens für eine kurze Zeit die deprimierende Situation für uns etwas zurück. Ich erinnere mich noch sehr deutlich an die Szene, als meine Schwester, die hochschwanger war, mit einem Mal zu tanzen anfing. Sie tanzte die Hopsa-Polka und drehte sich zum Schluss wie ein Ball im Kreis. Und mit Tränen in den Augen sagte sie immer wieder aufs Neue „Wir schaffen es schon, wir schaffen es schon!" In Omsk, wo unsere Fahrt noch nicht zu Ende war, hat meine Schwester dann ihr drittes Kind geboren, in einer Ecke des Waggons, nur durch eine Decke notdürftig abgetrennt.

Nach Wochen, nach scheinbar endloser Fahrt kamen wir in Minusinsk, im Gebiet von Krasnojarsk gelegen, an. Zunächst wurden wir, die Familie meiner Schwester und ich, in einem Zimmer bei einer Russin untergebracht. Später gelang es uns, eine eigene kleine Wohnung zu finden. Valeria blieb nicht abwartend. Sie bemühte sich sofort mit dem kleinen Theater der Stadt Kontakt aufzunehmen und ein Programm zu organisieren. Es waren nur noch russische Stücke erlaubt. Ihr Mann gründete ein Trio und begleitete die Vorstellungen des Theaters musikalisch. Doch diese Arbeit dauerte nur wenige Wochen. Schon im November 1941 bekam mein Schwager den Befehl zur Trudarmee. Wir verabschiedeten ihn. Ich erinnere mich noch genau, er sah etwas seltsam unter den anderen einberufenen Russlanddeutschen der Stadt aus, weil er sein Cello mithatte. Es war ein trauriger Abschied. Wir sollten ihn und sein Instrument niemals wiedersehen. Kurze Zeit später ist er in der Trudarmee gestorben. Die genauen Umstände des Todes haben wir niemals erfahren. Ich nahm seine Stelle im Trio ein."

Viktor Heidelbach:

"Die Deportation aller Familien deutscher Nationalität aus Armawir war für den 8. Oktober 1941 angesetzt. Dieses Datum wurde meinem Vater und den anderen schon etwa vier  Wochen vorher mitgeteilt. Wir hatten also ein bisschen Zeit zur Vorbereitung auf den Abtransport. Aber es gab nicht viel vorzubereiten. Wir durften ja nur das Wenige mitnehmen, was wir tragen konnten. Es war u. a. nicht erlaubt, Vieh zu schlachten und größere Essenvorräte anzulegen. Mutter trocknete in diesen Tagen immer wieder Brot. Zwieback war haltbar und immer zu gebrauchen. Meinem Vater gelang es nach längerem Hin und Her mit den Verantwortlichen der Stadt, doch noch die Erlaubnis zum Schlachten unseres Schweines zu erhalten. Das Fleisch wurde gekocht und gebraten, in Eimer gelegt und mit Schmalz übergossen. So blieb es für einige Zeit haltbar; und wir hatten wenigstens einen kleinen Vorrat für die Fahrt ins Ungewisse.

Die Fahrt nach Kasachstan dauerte 41 Tage. Wir saßen dichtgedrängt im Güterwaggon, knapp 100 Personen. Der Zug schleppte sich langsam nach Osten. Oft hielt er für längere Zeit, mal auf Bahnhöfen, mal auf freier Strecke. Ich erinnere mich noch daran, dass wir einmal volle drei Tage auf einem Bahnhof standen. Aus der Gegenrichtung  kam ein Zug nach dem anderen mit Soldaten für die Westfront. Obwohl ich erst 15 Jahre alt war, begriff ich, dass etwas ganz Außergewöhnliches im Land vor sich ging, der Krieg plötzlich alles verändert hatte und nichts mehr so sein würde wie zuvor. Wir verließen den engen und verlausten Waggon. Die Frauen kochten auf zusammengestellten Steinen neben den Gleisen etwas Warmes zum Essen. An manchen Orten wurde auch Brot und Suppe verteilt, doch das reichte nicht zum satt werden, wenn wir nicht noch unsere Vorräte gehabt hätten. Die Fahrt schien kein Ende zu nehmen und die Läuse waren nicht zu besiegen. Die Tage wurden auch für die Kinder und uns Jugendliche, für die zu Beginn alles noch einen Hauch von Abenteuerlichkeit hatte, immer schwerer und unerträglicher.

Am 19. November waren wir endlich am Ziel. Wir konnten in Kustanai in Kasachstan den Zug verlassen. Auf dem Bahnhof standen eine große Menge von Pferdefuhrwerken, die uns Deportierte in einzelne Dörfer dieses Gebietes brachten. Es herrschte bereits starker Frost und es lag schon hoher Schnee. Das Dorf, das uns zugewiesen war, lag 150 km von Kustanai entfernt. Zum Glück lag auf dem Kastenwagen, mit dem unsere Familie abtransportiert wurde, genügend Heu und Stroh. Mutter und wir drei Kinder konnten uns darin fast unsichtbar verkriechen und uns so vor der grimmigen Kälte wenigstens etwas schützen. Nur Vater trug einen Pelz und nahm neben dem Kutscher Platz. Wir waren zweieinhalb Tage unterwegs. In der Nacht machten wir in Siedlungen Halt. Der Empfang war reserviert, aber nicht feindlich. Im Gebiet lebten vor allem russische Kulaken, die im Zuge der Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion am Ende der 20er und am Anfang der 30er Jahre in das kasachische Neuland verbannt worden waren. Uns betrachtend, sagten sie zu uns halb im Ernst und halb im Scherz: „Ihr habt ja gar keine Hörner an Euren Köpfen, wie ihr Deutschen uns jetzt im Krieg als Feinde beschrieben werdet." Sie gaben uns Unterkunft und Essen. Offenbar wussten sie, was Deportation und Verbannung bedeuteten, welchen Anfeindungen und Beschimpfungen man da ausgesetzt ist."

Source : http://www.russlanddeutschegeschichte.de/