XC Poème Wer bin ich  810 de I. STODLT, 1991

‘Auslandsdeutscher,
Volksdeutscher,
Russlanddeutscher,
Sowjetdeutscher,
Deutschstämmiger Sowjetbürger,
Deutschrusse auch –
Was noch ?
Ach, was denn noch ?
Doch, doch, ja noch :
Hier Aussiedler, da Umsiedler,
Emigrant und Einwanderer,
Verschleppter Häftling noch dazu,
Aus dem Gewahrsam fremden Staates schließlich freigegeben,
Russischer Bürger deutscher Zunge,
Ein fremder Deutscher,
Vertriebener und Flüchtling –
Ausgewiesen, eingewiesen – integriert und angepasst !
Was will man denn von mir ?
Was macht man hier mit mir ?
Was müssen diese Etiketten denn feststellen und bestimmen ?
Merkmale sind es, die mein Schicksal zeichnen
Und festnageln für immer !
Entscheidungen der hohen Politik sind das,
Maßnahmen von Behörden !
Was soll diese Distanz bewirken ?
Warum nimmt man mich nicht auf ?
Heimkehrer bin ich doch –
ein Deutscher, weiter nichts !
Ein Deutscher, der den ganzen Hass,
die Rache gegen Deutschland Stellvertretend fühlen,
tragen und erdulden musste.
Als Sklaven hungernd,
Kaum dem Tod entronnen
sind meine Eltern –
Beschimpft, zurückgesetzt
in Schulen und Beruf
Riss’ ich mich los !
Die ganze Jugend,
die ihre Ängste überwand,
Sie drängt zurück zur alten Heimat
Kost’es, was es wolle !
Nur wenigen gelingt’s,
ans Ziel zu kommen –
Nun bin ich da !
Und danke, danke, danke !
Wer bin ich jetzt ?
Kein fremder Gast,
der irgendwann zurückwill,
Sondern euer Landsmann,
der endlich nun daheim ist,
Und in den Kirchenbüchern
Den Namen seiner Ahnen sucht,
Die einst des Vaterlandes
Not gezwungen auszuwandern.’
Notes
810.

Wer bin ich ?, I. STODLT, Aussiedler, in Informationen zur politischen Bildung, Bundeszentrale für politische Bildung, Munich, 1991, n° 222, p. 5.