CI Photographies du théâtre allemand du Kazakhstan (bâtiment de Temirtaou, troupe actuelle d’Almaty et représentation de 2002)

CII Pièce de théatre Die Ersten (Alexander Reimgen)

Pièce de théâtre, années 1960, retranscrite d’après des feuilletons publiés en 1979 dans le journal Neues Leben (du n°5 du 31 janvier 1979 au n°13 du 28 mars 1979). Les originaux sont en notre possession.

Pièce primée par le prix littéraire Neues Leben 1979 pour cette pièce et pour le récit Das Herz in beiden Händen (premier prix ex aequo avec Reinhold Leis, Die Muttersprache). Prix publié dans le journal Neues Leben n°1 du 1er janvier 1980. Des critiques présenteront la pièce à l’occasion de la première représentation : elle fut jouée pour la première fois en 1981 par le théâtre allemand de Temirtaou.

Reimgen, Alexander, (Byten, Crimée, 18/11/1916 – Togliatti, Volga, 18/12/1991) écrivain soviétique allemand. Études de germanistique à l’institut pédagogique (Pädtechnikum) de Fedossiya, Ukraine puis études par correspondance à l’Institut de Langues étrangères de Moscou. Ses premiers poèmes datent de 1937 et sont parus d’abord dans le Deutsche Zentralzeitung. De 1936 à 1941, il est professeur dans les écoles allemandes de Crimée. En 1941, il est envoyé au Kazakhstan puis comme maçon dans l’Oural. Il reprend l’enseignement en 1944. De 1957 à 1960, il travaille à Djamboul, sud du Kazakhstan. Il a écrit plusieurs romans, récits, poèmes et pièces de théâtre importantes dont Die Ersten mise en scène par le Théâtre allemand de Temirtaou en 1981. En 1960, il est installé à Djetyssai au Kazakhstan. Il y travaille comme affichiste et publie ses écrits dans Rote Fahne, Freundschaft, Neues Leben. Depuis 1966, il est membre de l’association des écrivains d’U.R.S.S. Il s’installe à Togliatti dans le territoire de Kouïbychev, Russie. Parmi ses œuvres majeures, on note Die letzte Wunde et Salzpfade.

Die Ersten

Personen

Heinrich Kolchosvortsitzender
Hulda seine Frau
Mukan-Edik sein Sohn
Emilie Heinrichs erste Frau
Minna Heinrichs Schwägerin
Hannes Kolchosbauer
Katharina seine Frau
Male ihre Tochter
Grischa Males Mann
Assilbajew Parteisekretär
Somow Brigadier
Kim Brigadier
Lemmert Buchhalter
Guljam-Bobo Mirab
Viktor Minnas Bruder
Gena Schuljunge
Linas Schuljunge
Schweizer Kolchosbauer
Olga seine Frau
Andere Kolchosbauern  

Einleitung

Leise, pathetische Musik. Im Hintergrund der Bühne eine große Landkarte der Sowjetunion, auf der die Großbauten mit leuchtenden Sternchen vermerkt sind.

SPRECHER (Stimme im Raum):

Es dreht sich der Erdball

im All

und trägt seine Fracht

durch die Zeiten

der Ewigkeit.

Wir alle

sind darauf bedacht,

auf diesem Ball zu leben

in Glück

und menschlicher Seligkeit.

Groß und reich

ist unser Land,

doch nur

Mühe und Fleiß

schaffen Wohlstand und Glück.

Wir bauen Betriebe und Kraftwerke,

stellen das Atom

uns in den Dienst.

Wir wenden das

Erdinnere um,

durchstöbern die Meere.

Wir ändern der Ströme Lauf

und schwingen hinauf

uns

in den eisigen Raum der

Leere.

Jedes Fleckchen Boden

fingern wir ab

und stoßen es zurecht,

damit die Erde

allüberall

zur Ernährerin werde

für das Menschengeschlecht.

Die Sternlein auf der Landkarte erlöschen, nur an der Südgrenze der Ksyl-Kum-Wüste blinkt das Sternlein weiter.

SPRECHER:

Am Rande der Wüste Ksyl-Kum

lechzte Steppe

jahrtausendelang

nach

lebenzeugendem Nass,

doch

niemanden je noch geland,

den Durst ihr zu stillen.

Sonnenglut

und Wüstenwind

rasten ohne Unterlass

und brachen Waghalsigen

die Kraft und den Willen.

Da kamen die rotbesternten,

vom Oktober durchglühten,

von Lenin gestählten

Unbesiegbaren –

Menschen verschiedener Zunge,

verschiedener

Stärke und Schwäche,

doch willig

zur Heldentat,

um in hartnäckigem Ringen

das Ödland

zu bezwingen.

I.

Abend. In der Ferne, quer über die Bühne, als schnurgerade Linie, der Horizont. Über ihm der große, rote Vollmond. Im schummerigen Mondlicht die Silhouetten des Biwaks der Neulandsiedler: Häuflein Hausgerät und Gepäck, vereinzelt Zelte, eine Jurte, Biwakfeuer, um die jeweils Menschen sitzen oder stehen. Kinder rennen hin und her. Abseits, am Rande des Lagers, steht hie und da ein Liebespärchen. In der Ferne spielt leise, aber deutlich die Dombra eine kasachische Volksweise.

Der Vordergrund ist erhellt. Rechts – der Eingang zu Heinrichs Zelt. Vor dem Zelt, etwa in der Mitte der Bühne, brennt ein Lagerfeuer, an dem MINNA, GULJAM-BOBO, SOMOW und KIM sitzen. Minna hat eine Wattejacke um die Schultern hängen.

GULJAM-BOBO (fährt fort im Erzählen): Eines Tages, als Schirin, Farchad und Chosrow dem Fels zuritten, fasste Schirin einen Entschluss.

„Wer den Durst den Hungersteppe stillt, dem will ich gehören“, sagte sie und senkte den Blick.

„O Krone meines Herzens!“ rief der Prinz Chosrow mit schmeichelnder Stimme. „Ehe der Tag noch einmal die Nacht abwechselt, wird in die Steppe Wasser rieseln.“

Farchad hörte die Worte Chosrows. Zorn erfüllte sein Herz. Er liebte die heimatliche Steppe nicht minder als Schirin und wusste, dass Chosrow nicht Wort halten konnte.

„Ich bringe der Steppe Wasser“, sagte er nach langem Schweigen.

Farchad ließ sich bei den Schmieden einen Riesenketten anfertigen. Ein Dutzend kräftiger Burschen brachten ihm den Ketmen. Farchad hob ihn mit leichter Hand auf die Schulter und erkletterte den Fels.

Auch Chosrow säumte nicht. Mit einem listigen Lächeln sandte er seine Sklaven nach allen Richtungen des Landes aus. Sie durften niemandem verraten, welchen Auftrag sie von ihrem Herrn erhalten hatten.

Es wurde Nacht. Der Vollmond stand am Himmel und blickte auf die Welt.

MINNA: Genau wie heute.

GULJAM-BOBO: Er sah, wie Farchad seine Rüstung ablegte, mit seinem schweren Ketmen Felsblöcke zertrümmerte und sie in die Flut des Syr-Darja schleuderte. Das Wasser bäumte sich auf. Tausende und aber Tausende Tropfen blitzten im Mondlicht auf. Der Fels stöhnte unter den wuchtigen Schlägen des Recken.

In der gleichen Nacht schlichen Chosrows Sklaven zum Fluss. Sie legten von dort einen breiten Streifen Schilfmatten in die Steppe.

Am Morgen, als die Sonne hell glänzte, schimmerte der Streifen wie ein Wasserkanal. Der Prinz trat zur schönen Schirin und sagte:

„ O Gebieterin meine Seele! Erhebe deinen lieblichen Blick und schaue in die Steppe. Ich bin deinem Befehl nachgekommen. Ein Wasserkanal durchquert die Hungersteppe...“

SOMOW: Och, schlau war der Chosrow!

KIM: So sind eben die Schlechten.

MINNA: Und weiter, Guljam-Bobo? Die Schirin...

GULJAM-BOBO: Die sonst kluge und vorsichtige Schirin war so erfreut, dass sie den Betrug nicht merkte.

Im Schlosse wurde Hochzeit gefeiert. Der Lärm und Jubel drang bis zu Farchad. Er sah und hörte jedoch nichts, hieb weiter mit dem Ketmen auf den Felsen ein und richtete einen Damm auf. Nur noch eine schmale Lücke musste ausgefüllt werden, und das angestaute Wasser wäre in die Steppe geflossen. DA kam Farchads Diener und meldete ihm, dass Schirin Chosrows Frau geworden sei.

SOMOW: So 'n Hund!

MINNA: Nikolai, störe nicht. Und Farchad?

GULJAM-BOBO: Wie vom Blitz getroffen, erstarrte der Recke auf der Stelle. Ein Schrei, mächtiger als der Donner, entrang sich seiner Brust. Der Fels erbebte, und das Echo trug den Schrei von Berg zu Berg weiter. Farchad ergriff seinen Ketmen und schleuderte ihn hoch über die Wolken. Als er niederfiel, hielt der Recke seinen Kopf darunter... (verstummt).

SOMOW: Weiter?

KIM: Weiter, Somow, wie in allen Legenden: Schirin erfuhr von Farchads Tod und erdolchte sich, weil sie betrogen worden war.

Schweigen.

MINNA: Eine schöne Legende, Guljam-Bobo.

GULJAM-BOBO: Das Volk hat sie erfunden, Minna. Jahrtausendelang träumten die Menschen von der Urbarmachung der Hungersteppe, es blieb jedoch ein Traum.

SOMOW: Na klar! Mit Schilfmatten und Ketmen kommt man der Hungersteppe nicht bei. Da muss andere Technik aufgefahren werden.

GULJAM-BOBO: Nun gut, junge Leute! Das Ende krönt das Werk, jetzt hat auch für die leblose Steppe die Stunde geschlagen. (Erhebt sich). Genug für heute, ich geh schlafen. (Geht nach hinten).

SOMOW: Komm, Kim! Siehst doch, Minna nickt auch schon.

MINNA: Irrst dich, Nikolai. Vor zwölf steige ich nie ins Bett.

KIM: Trotzdem. Es ziehmt sich nicht für verheiratete Böcke, bei anderen Weibern herumzusitzen; zu Hause kann es Hagelwetter geben.

Beide ab. Eine Zeitlang Stille. Das Surren eines Autos nähert sich und verstummt. Hannes kommt und blickt um sich.

HANNES: Sdrastje!

MINNA: Guten Abend.

HANNES: Sag mol. Mad, wo is dr Predsedatel?

MINNA: Was wollen Sie von ihm?

HANNES: Wo soll ich mit mein Wesem hie?

MINNA: Was für Wesen?

HANNES: Na, ich und mei Kathrin sin mit Sack un Pack gkomme.

MINNA: Ach so! Ihr wollt wohl hierbleiben?

HANNES: Nuja.

MINNA (ruft): Heinrich!.. Heinrich, hörst du? Komm mal raus.

HEINRICH (tritt aus dem Zelt): Was ist?

MINNA: Noch ein Waghalsiger mit seiner Kathrin.

HANNES: Des seid wohl Ihr dr Predsedatel, dr Genrich Genrichowitsch, von dem soviel vrzählt wird?

HEINRICH: In eigener Person.

HANNES: Gutn Owend!

HEINRICH: Schönen Dank.

HANNES: Mr sat, Ihr tät noch Leit ufnehme.

HEINRICH: Willkommen! Von wo sind Sie?

HANNES: Von Baklajewka.

HEINRICH: Donnerwetter – von so weit? Allein?

HANNES: Naa, mei Alti sitzt noch uf d Maschin beim Sach. E Tochter hawe mr noch, awr die lernt in die Stadt nähe.

HEINRICH: So-so-o! Werdet ihr’s nicht bereuen? Hier ist doch Wüste.

HANNES: Nee-nee! Ich un mei Alti, mir such ka Rai net. Ich komm iwerall dorch, jej Bocha!

HEINRICH: Was sind Sie von Beruf?

HANNES: Was? Vrsteh net.

HEINRICH: Ich frage, ob Sie Arzt, Ingenieur, Veterinär oder sonst wer sind.

HANNES: Ich? So n Plotnik, wie ich aner sin, findt Ihr weit und brat net. Ich prascht net, jej Bocha. Drham war ich Kolchosnik, war in dr Kriegszeit hot mr jo manches zugelernt. Mit aam Wort, ich wer dem neue Kolchos net an d Futtertrog krawle.

Katharina kommt.

KATHARINA: Hannes, Skrment! Wie lang soll ich nich uf d Maschi sitze? – Gutn Owend!

HEINRICH: Danke schön.

HANNES: Des is mei Kathrin, dr Teiwl aus dr unerschte Höll selbst. – Kathrin, mr obsushdaje do mit m Predsedatel die Sach, er hot nix dageje, wann mr dobleiwe.

HEINRICH: Bitte! Wir brauchen Leute. Land werden wir genug haben, es wird immer an Arbeitshänden fehlen.

HANNES: Ja, Land is do genug. Die Leit vrzähle, do tät aach alles wachse.

HEINRICH: Na, alles gerade nicht. Ananasse und Bananen zum Beispiel gedeihen hier nicht. Wir werden hauptsächlich Baumwolle züchten. Wisst ihr, was das ist?

HANNES: Gsehe hawe mr noch net, wie der Baawoll wachst. Mr hawe ghert, dass se drauss Hemdr und Hose mache.

MINNA: Nicht nur Hemden und Hosen. Die Baumwolle ist eine sehr wertvolle technische Pflanze.

KATHARINA: Kann mr sie aach spinne?

HEINRICH: Selbstverständlich!

KATHARINA: Siehst, Hannes: Un du wollst s Spinnrädche net mitnehme.

HANNES: Nooch deim nooch hätte mr aach s Brunzteppche mitnehme solle. Du... Genrich Genrichowitsch, sat mol, wie wird sich des alles mache?

HEINRICH: Was meinen Sie?

HANNES: No gut, mr sen komme. Un weiter?

HEINRICH: Lieber… ja, wie heissen Sie denn?

HANNES: Johannes des Johannes Habermehl.

HEINRICH: Also, mein lieber Iwan Iwanowitsch, wir werden wie Noah ganz von vorne anfangen. Leicht wird das nicht sein, sogar sehr schwer.

KATHARINA: Haste ghert, Hannes?

HANNES: Sin doch net taab, jej Bocha!

KATHARINA: Ich hun dr gsat, du Narr: bleib sitze, wo sitzt! Naa, hast immer kaa Sitzflasch net! Is m n Worm über die Lewr gkrawit, un er hat kaa Ruh mehr.

HANNES: Die Zeitunge schreiwe doch so viel iwr des nei Land, aach d Pankratow, wos unsr Nochbor is, hot’s arich globt.

KATHARINA: Un du Kerweskopp glaabst aach alles. Siehste, wos do is?

HEINRICH: Moskau ist auch nicht an einem Tag erbaut worden, sagt ein russisches Sprichwort. Mit der Zeit errichten wir hier ein solches Leben, dass man uns beneiden wird.

HANNES: Herste, Kathrin?

KATHARINA: Nuja, war jetz wo were mr wohne?

HEINRICH: Der Iwan Iwanowitsch hat doch gesagt, er sei ein guter Bauarbeiter, der stellt euch bald ein Wohnhaus hin.

KATHARINA: Ja, der baut! Aan Hinklstall hot r gebaut, un der is bal zsammegerottelt.

HANNES: Kathrin! Langzungische du! Host immr so Gebabl... Genosse Predsedatel, acht uf die net, dere macht mrs nie recht.

KATHARINA: Is’s net wohr?

MINNA: Wer mal einen Hühnerstall gebaut hat, wird sich auch, wenn es sein muss, ein Häuschen bauen.

HANNES: Host recht, ma Mad. Des mache mr, jej Bocha. N Hofplatz gebt ihr uns doch?

HEINRICH: Selbstverständlich. Einen Viertelhektar Hungersteppe kriegt ihr, wie’s im Kolchosstatut geschrieben steht.

HANNES: Kathrin, herste?

KATHARINA: Was wolle mr mit soviel Land? Mr krieche des mit der Kreckser net meh bschafft.

HANNES: Wer kreckst, du...? Mr stecke Weitrawl – die were do doch wachse?

HEINRICH: Die wachsen hier ausgezeichnet.

HANNES: Dann stecke mr noch Äpplbem, Quetsche, Kersche, Schaptale, Dulle.

KATHARINA: Un for die Sei und die Hinkl? Die solle wohl die Äppl un Schaptale knawre?

HANNES: Aach for die Sei un vor die Hinkel setze mir was. Host doch ghert: an Viertelhektar, finfunzwanzig Sotich! Henrich Genrichowitsch, wo leit unser Hofplatz?

HEINRICH: Morgen wird der Vorstand euch aufnehmen, dann messen wir euch auch Land hin.

HANNES: A-ha! War jetz – wo solle mr unser Krutiwese ablade?

MINNA: Ach, die Steppe ist doch gross!

KATHARINA: Dich frogt kaanr net. Un mr wolle net in die Stepp, mr wolle bei die Leit sei.

HEINRICH (lacht): Meinetwegen ladet hier ab. Reicht euch der Platz?

HANNES (blickt sich um): Vorerst – ja.

HEINRICH: Dann los!

HANNES: Komm, Kathrin!

Sie bringen einen Küchentisch und zwei Schemel. Katharina bringt das Spinnrad und stellt es auf den Tisch, dann bringt sie anderes Küchengeschirr und stellt es neben das Spinnrad.

Hannes schleppt sich ächzend mit einem Kleiderbündel ab.

Nachdem sie alle Sachen abgeladen haben, lassen sie sich auf die Schemel nieder und verschnaufen schweigend.

MINNA (in Abwesenheit der Alten): Du hast Eselsgeduld, Heinrich. Ich bewundere dich.

HEINRICH: Was gibt’s da zu bewundern?

MINNA: Hörst dir alles an, was die zwei da plappern.

HEINRICH: Sind doch alte Leute. Und gar nich übel sehen die aus. Der Iwan Iwanowitsch scheint mir recht gewichst zu sein, wir brauchen solche Leute.

Schweigen.

MINNA: Was macht Hulda?

HEINRICH (blickt zum Zeit): Sie hat sich endlich beruhigt und ist eingeschlafen.

MINNA: Du hättest sie bei ihren Eltern lassen sollen.

HEINRICH: Warum denn?

MINNA: Ach, du weißt es ja!

HEINRICH (zeigt nach hinten): Meinst, da sind keine schwangeren Frauen darunter?

MINNA: Ist mir auch ein Vergleich! Du wirst mit ihr noch deine Plage haben.

HEINRICH: Wieso?

MINNA: Weil sie viel jünger ist als du. Und dazu übers Maß verhätschelt.

HEINRICH: Stimmt, verhätschelt ist sie.

MINNA: Hat sich ja förmlich an dich gehängt, das zimperliche Ding.

HEINRICH (schweigt lange): Bin lange genug ohne Frau gewesen, das ist schwer. Jetzt, da der Suchdienst bestätigt hat, dass Emilie nicht mehr lebt, bin ich froh, dass ich Hulda habe. Ich konnte dir doch nicht immer und ewig im Genick sitzen, Schwägerin. Du hast mir schon genug Gutes getan.

MINNA: Bist mir doch kein Fremder.

HEINRICH: Immerhin. (Schweigt). Wir sind eben nur noch zu zweit von Unseren geblieben. Wenn ich nur wüsste, wo Edik steckt.

MINNA: Ist vielleicht auch nicht mehr am Leben.

HEINRICH: Sehr möglich... Geh, leg dich schlafen, Minna. Morgen früh ist die Nacht rum.

MINNA: Bist ja auch noch auf den Beinen.

HEINRICH: Ich muss noch mal schnell zu Assilbajew rüber. Der Tagesplan für morgen ist noch nicht endgültig besprochen. Geh, leg dich in mein Bett, ich mache mir mein Lager auf der Erde.

MINNA: Legst dich ganz schön in dein Bett! Ich finde auch hier ein Plätzchen.

HEINRICH: Komisch kommst du mir zuweilen vor, Schwägerin. Immer musst du deinen Kopf aufsetzen. (Schweigt). Hast du dies alles überhaupt nötig?

MINNA: Was denn?

HEINRICH: Ich kann immer noch nicht begreifen, warum du dein gemütliches Häuschen am Irtysch im Stich gelassen hast und mit mir und Hulda in die Wüste gezogen bist.

MINNA: Bin ich euch schon leidig?

HEINRICH: Aber nein! Um Gottes willen, so etwas zu denken! Du weißt doch, dass ich dir noch nie ein grobes Wort gesagt habe, geschweige denn... Aber wir werden es hier verteufelt schwer haben, du hättest die das ersparen können.

MINNA: Ich habe schon ganz anderes durchgemacht und bin ich nicht gestorben.

HEINRICH: Weiß ich ja, aber... Na, ich muss fort.

Eilt nach hinten zur Jurte. Minna blickt ihm versonnen nach.

Leise Musik. Der Lichtschein engt sich langsam bis auf einen kleinen hellen Kreis um Minna zusammen.

Erste Rückblende

In der Ferneerwacht Kriegsgedröhn. Minna erhebt sich, blickt sich erregt um und geht, vom Lichtkegel begleitet, zu ihrem Handkarren, der mit Habseligkeiten beladen ist.

Das Gedröhn nähert sich, Minna kauert erschrocken am Karrenrad nieder. Irgendwo im Dunkel krepieren Geschosse, rattern Panzer vorüber. Flugzeuge heulen im Tiefflug auf und entfernen sich. Der Kampf verstummt allmählich.

Das Stöhnen eines Verwundeten in der Nähe, Minna horcht auf, erhebt sich und geht im Lichtkreis einige Schritte zur Seite.

SOMOW (stöhnt): O-o-ch... Hilfe!… Ist niemand in der Nähe?... Helft mir doch, mein Bein...

MINNA (stößt auf ihn): Mein Gott!

SOMOW: Schwesterlein... o-och!

MINNA (beugt sich über ihn): Sind Sie verwundet?... Wo hat es Sie erwischt?

SOMOW: Am rechten Bein, Mädel, am rechten Bein.

MINNA: So dunkel, man sieht ja nichts... U-u-u! Soviel Blut – schrecklich!

SOMOW: Verbind mir die Wunde, ich verblute sonst...

MINNA: Womit?... Ich bin keine Sanitäterin... Gleich!... Gedulden Sie sich ein wenig.

Läuft zum Karren, zerrt ein Laken hervor und zerreißt es.

SOMOW (aus dem Dunkel): Teure, wo bleibst du?... Hat mich im Stich gelassen... o-och!

MINNA: Hier bin ich! (Kommt zurück). Da hab ich was gefunden...

SOMOW: Ich hab doch ein Verbandpäckchen.

MINNA: Wusste ich’s denn? Wo schmerzt es?

SOMOW: An der Kniekehle, Mädel. Hier, nimm das Messer, schneide Hosenbein und Stiefelschaft auf, damit du an die Wunde ran kannst.

MINNA: Gut. (Legt den Verband an).

SOMOW: So... so... ach!

MINNA: Das Blut dringt durch den Lappen, da muss fester gewickelt werden.

SOMOW: O-wie, Schwesterlein!

MINNA: Ich bin doch keine Krankenschwester, bitte gedulden Sie sich.

SOMOW: Hab’s schon gemerkt... Wo kommst du her, Mädel?

MINNA: Aus Hoffnungstal, da hintern Wäldchen liegt’s.

SOMOW: Und was, zum Kuckuck, suchst du hier in der Kampfzone?

MINNA: Geflüchtet sind wir – der eine zu Fuß, der andre aufm Wagen. Ich und Viktor kamen nur noch dazu, den Handkarten zu packen.

SOMOW: Au, Mädel! Wieder schmerzt es so sehr.

MINNA: Entschuldigen Sie, ich muss aber mit der Hand da rum.

SOMOW: Und hier haben euch die Faschisten eingeholt? Wo bist dein Mann?

MINNA: Viktor ist mein Bruder.

SOMOW: Eltern habt ihr wohl keine?

MINNA: Nein. Eine Schwester haben wir noch, die ist im Nachbarkolchos verheiratet.

SOMOW: Wo ist dein Bruder?

MINNA: Der Bengel ist noch einmal zurück ins Dorf gelaufen.

SOMOW: Wozu?

MINNA: Hat sich da im Sommer bisschen Geld im Kolchos verdient und hat es in der Eil zu Hause gelassen. Wir wären jetzt auch schon in Sicherheit.

SOMOW: Na so was, wegen den paar Rubelchen ins Feuer zu rennen.

MINNA: Ihr Bein ist verbunden.

SOMOW: Danke, Mädel – ja, wie heißt du denn?

MINNA: Mirina.

SOMOW: Ich bin Somow. Nikolai Alexejewitsch. Wie du siehst – Kommandeur.

Ein Wagen surrt im Dunkel vorbei. Stimmen. Gesang.

SOMOW: Vorsicht, Minna! Drück dich an die Erde und lieg mäuschenstill. Die dürfen nicht merken, dass wir leben.

MINNA: Aber so was! (Blickt sich flüchtig um und drückt sich an Somow.)

Ein Trupp faschistischer Infanterie marschiert in der Finsternis vorbei. Die Soldaten singen. Das Lied wird, von Johlen und Pfeifen begleitet, in die Nacht geschrien:

‘„Ännchen von Tharau ist’s, die mir gefällt,
sie ist mein Leben, mein Gut und mein Geld.
Ännchen von Tharau hat wieder ihr Herz
auf mich gerichtet in Liebe und Schmerz.
Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut,
du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut...“’

(Gejohl und Füßegetrampel entfernen sich)

SOMOW: Was machen wir nun, Minna? Wenn mich die Äser finden, bin ich verloren.

MINNA (erhebt sich): Das andere Bein ist doch heil, ich bringe Sie ins Dorf.

SOMOW (richtet sich mühsam auf): Nein, nur nicht ins Dorf. Mich kennt doch hier jemand.

MINNA: Von wo sind Sie? Ich meine...

SOMOW: Gebürtig bin ich aus Woronesh, meine Eltern wohnen dort. Vater ist Maschinenbauer... O, das Bein schmerzt!

MINNA: Trotzdem. Versuchen wir’s mal?

SOMOW (erhebt sich ächzend): Aber nicht ins Dorf gehen wir, das ist im Moment sicher leer. In den Wald bring mich, Minna, dort ist gewiss noch jemand von den Unseren.

MINNA: Gut, kommen Sie. (umfasst ihn.) Nun!... Mutiger, mutiger...

Stützen Sie sich nur getrost auf mich... So, so!

SOMOW: O danke, Mädel!

Sie gehen Schritt für Schritt mühevoll nach rechts und verschwinden aus dem Licht. Der Lichtkegel wandert zurück zum Handkarren. Autos und Panzer rasen irgendwo vorbei. Flugzeuge surren.

Viktor kommt angerannt und atmet heftig. Er bleibt am Handkarren stehen und blickt sich um.

VIKTOR (ruft): Minna! Minna!... Wo bist du, Minna!

Rennt rufend aus dem Licht, kommt zurück.

VIKTOR (wühlt in den Sachen auf dem Karren): Alles da... Minna! Minna!

Viktor geht, vom Lichtkreis begleitet, zur Seite, sucht unter den Gefallenen nach seiner Schwester. Dann erstarrt er für Sekunden, schluchzt auf und rennt ins Dunkel.

Licht aus.

II.

Der Lichtkegel erscheint wieder. Er weitet sich, bis das erste Bühnenbild da ist. Minna sitzt am Lagerfeuer, Hannes und Katharina bei ihren Sachen.

HANNES: Kathrin, aach for uns is s Zeit, schlowe zu geh. Mach’s Bett.

KATHARINA: Mach’s Bett, mach’s Bett... Wo were mr schlowe?

HANNES: Wie – wo? Do uf dr Erd.

KATHARINA: Unrm freie Himmel?

HANNES: Noja.

KATHARINA: Un wann’s rechent?

HANNES: Dumme Gans! Guck doch, dr Himml is voller Stern.

KATHARINA: Naa, so will ich net. Di Stern were die Nacht iwr uf mich gucke, do kann ich net schlowe. Mr leche uns unr s Tischche.

HANNES: Du host net alle zsamme! Do drune host du allanich kaan Platz, vrschweiche noch zu zwaat.

KATHARINA: Ich wer’s schon mache. (Löst den Knoten am Kleiderbündel und macht ein Lager unterm Tisch). Die Baa kenne jo nausgucke. So is mr chotj nissche gschitzt.

HANNES: Host Angst, dr Herrgott sieht dich?

(Schweigt)

HANNES: Gell, host Forcht, er sieht die sindlich Seel, ja?

Beide kriechen unter den Tisch und legen sich ihn.

KATHARINA: Wer hot noch mehner Sinde wie du?

HANNES: Die wolle noch gzählt sei. Die Teppche is schon am Iwrlaawe. Schon der Kombikorm allaa, wo du von der Seifirma mitm Aamr haamgschleppt host. Reicht dem Herrgott.

KATHARINA: Gell, un die Worscht un die Schunke hoste aach gfresse, du Hurehengst!

HANNES: Ach, jetzert geht’s los! (Wälzt sich fortwährend auf seinem Lager).

KATHARINA: Bei die lebendich Fraa anere Weiwr noochlawe. Host wohl vrgesse, wie du der scheckich Anje...

HANNES: Die is MIR noochglawe, net ich ere. (Wälzt sich hin und her). Wos dr Deiwl host du mr unern Kopp gelecht? (hebt das Kissen an und zieht den Nachttopf hervor). Himmlherrgottfeier...! Sie hotn jo doch mitgeschleppt.

KATHARINA: Den brauch mr.

HANNES: Do leit die Stepp, law hie, wo du willst. (Kriecht hervor und stellt den Topf auf den Tisch). Lecht mr so’n Dreck unrn Kopp – so dumm zu sei!

KATHARINA: Ich wollt’s dr besser mache.

HANNES: Bessr, bessr... (Legt sich auf seinen Platz). Schlof jetz, s langt papple. Mit der wird mr jo vrrickt, jej Bocha!

Eine Zeitlang Schweigen.

KATHARINA (springt plötzlich hoch und schlägt sich den Kopf am Tisch an). Au-wei! (Kriecht hervor).

HANNES: Was hoste nor?

KATHARINA: Do krawit was. (Beschaut ihre Beine, schüttelt den Rock). Tarakane!

HANNES (kommt auch hervor): Du bist net bei Trost! Wo komme do Tarakane her?

KATHARINA (zerrt immer noch an ihrem Rock herum): Do is s mr nufgkrawlt.

HANNES (hilft suchen): Des sin vleicht Skoro... Skoro... Skoroschpione? Die hot’s do, sat mr.

KATHARINA: Du heilich Marie, Schkoroschpione!

MINNA (ruft den Alten zu): Schlaft nur getrost, das Gelände wurde geprüft, hier gibt’s keine Gifttiere.

HANNES: Herste, Kathrin?

KATHARINA: Awr...

HANNES: Komm, lech dich un sei net so schisserich.

Hannes und Katharina kriechen auf ihren Platz. Schweigen.

Linas kommt nach einer Weile angerannt und schon aus der Ferne.

LINAS: Towaristsch Predsedatl!... Towaristsch Predsedatl, dort liegt einer und isst Erde. Dort... Ich hab 'n gesehen.

MINNA: Was schreist du so, Linas?

LINAS: Tante Minna, wo ist Genrich Genrichowitsch? Dort liegt einer und isst Erde.

Neugierige sammeln sich um den Jungen.

MINNA: Wer isst Erde? Rede doch vernünftig.

LINAS: Wir... ich und Rafik... ich hab ihn mit der Hand berührt.

MINNA: Wen?

LINAS: Den dort (zeigt in die Steppe). Ich und Rafik wollten nachsehen, ob die Schildkröten nachts auch schlafen.

MINNA: Und?

LINAS: Rafik sagt – ja! Ich sage – nein. Den dort!

MINNA: Kannst du nicht menschlich erzählen wo das ist ?

LINAS: Man sieht noch schlecht, der Mond steht ja erst dort. Wir haben gewettet und sind ein Stück in die Steppe gegangen. Mit den Füssen dann auch mit den Händen haben wir nach Schildkröten gesucht. Rafik sagt, die haben sich eingescharrt und schlafen. Ich sage – nein! Dummkopf, den Rafik! Die nutzen die kurze Zeit, wo bisschen Gras wächst, und weiden Tag und Nacht. Unsere Lehrerin hat’s gesagt. Ich wollt’s ihm beweisen. Und da sehe ich eine und greife nach ihr... Er liegt und isst Erde.

EINIGE STIMMEN: Wer?... Wer?... Wer liegt da und isst Erde?

LINAS: Ein Toter...

Ein Schaudern geht durch die Menge.

MINNA: Was faselst du, Linas? Wie kommt ein Toter hierher? Ist’s einer von Unseren?

LINAS: nein, das ist ein alter Toter... Ich greife zu, dachte, es ist eine Schildkröte... Es ist ein Schädel. Er liegt und beisst in die Erde. (Zeigt es). So...

KATHARINA: (Rafft ihr Bettzeug hastig zusammen) Ach Gott!

LINAS (zeigt): Die Arme und Beine hat er auseinandergespreizt. Knochen sind das.

MURMELN: - Aber so was!

- Neben Toten schlafen wir!

- Die Steppe liegt voller Skelette.

- Die Skorpione und Karakurts beißen jeden, der hierher kommt. Das ist der sichere Tod.

LINAS: Ein Kesselchen hat er neben sich stehen, das ist voller Sand. Und ein rostiges Beilchen liegt da und Schildkrötenpanzer.

STIMMEN: - Verhungert ist er.

- Heißt ja auch Hungersteppe, dies hier.

- Kommt, wollen mal nachsehen. (Einige Männer ab).

- Da bleib ich keine Minute mehr. Komm, Friedrich!

- Seid doch nicht so dumm! Was tut euch das Skelett?

- Wer will, soll bleiben.

Die Menge kommt in Bewegung. Ein Mann und eine Frau kommen mit ihren Bündeln bei Hannes und Katharina vorbei.

FRAU: Komm, Friedrich, dort steht ein Auto.

Andere folgen: „Poschli!“

MINNA: Ihr Leute, was macht ihr denn? Seid doch nicht so kleinmütig!

EIN MANN: Die hawe Schiss, lass sie nor.

Guljam-Bobo, Somow und Kim zwängen sich durch die Menge.

SOMOW: Zurück! Habt euch von einem Kinde nen Schreck einjagen lassen, Idioten!

STIMME: Nicht von einem Kinde, Nikolai. Wer hat Lust, unter Toten zu liegen?

SOMOW: Warst nicht an der Front, man sieht’s gleich. Sogar süß schlafen kann man zwischen Toten... Überlegt euch gut, Genossen, was ihr da macht... Burmenko, auch du?... Tjotja Klawa, ei-ei! Leg mal die Sachen hin... Kainerbajew, du müsstest doch alles verstehen, du kennst doch die Steppe.

GULJAM-BOBO: Seid vernünftig, Leute: Überall haben die Toten Lebende gezeugt. Wir alle gehen und schlafen auf Toten, nur wissen wir es nicht. Wer wenigstens ein Krümelchen Mut hat, der bleibt. Begeht keine Dummheit, Leute, ich bitte euch.

STIMME: Alles leere Worte...

KATHARINA: Komm, Hannes!

HANNES: Wart mol!

KATHARINA: Uf die Maschi is bal kaa me Platz.

KIM: Und ich sage so: Wer die Hosen voll hat, soll türmen. Aber hört, ihr Hasen: Es kommt die Zeit, wo ihr auf den Knie betteln werdet, dass wir euch wieder in unsere Mitte aufnehmen. Aber dann wird es zu spät sein – so wahr, wie ich Kim Sen Nen heisse!

KATHARINA: Komm, Hannes!

HANNES: Wart doch!

HULDA (ruft im Zelt): Heinrich!... O Gott, Heinrich!...

MÄNNERSTIMMER: wer ist das?

FRAU: Dem Predsetadl seine.

Hulda kommt im Nachthemd aus dem Zelt. Ihr Haar ist zerzaust. Minna steht auf.

HULDA (ruft): Heinrich!... Heinrich! (Weint).

MINNA: Hulda, um Gottes willen! Geh, leg dich wieder hin.

HULDA: Verloren sind wir... Tote sind da... Skorpione sind da... Heinrich!

MINNA: Was schwatzt du? (Fasst sie am Arm). Komm ins Bett.

Assilbajew und Heinrich kommen gerannt. Heinrich eilt zu seiner Frau und führt die Unzurechnungsfähige fast mit Gewalt zurück ins Zelt.

HEINRICH: Das hattest du in deinem Zustand noch nötig!

HULDA: Bring mich nach Hause. Ich will hier nicht bleiben.

HEINRICH: Hulda... Sei doch vernünftig, Hulda. (Beide ab).

ASSILBAJEW (zerrt seine Fuchsfellmütze vom Kopf): Genossen, lasst euch nicht schrecken! Die Hungersteppe hat ihre Macht eingebüsst. Dieser Unglückliche, auf den der Junge gestoßen ist, fiel ihr zum Opfer, als der Mensch der Wüste noch hilflos gegenüberstand. (Er deutet mit der Mütze in der Hand zum Wasserkanal hin). Die Heimat hat uns eine mächtige Lebensader vorausgeschockt, den Wasserkanal...

GULJAM-BOBO: Und wo Wasser ist, ist Leben.

ASSILBAJEW: Genau! Kein Mensch wird hier weiterhin verhungern oder verdursten, keiner!

SOMOW: Kommt, Leute, wir beerdigen den Unglücklichen und gehen zur Ruh. Morgen beginnt die Arbeit im Kolchos.

STIMME: Wo wollen Sie den begraben, wir haben doch keinen Friedhof?

ASSILBAJEW: Stimmt, wir haben keinen. Ich denke, wir finden für ihn ein Plätzchen in unserer künftigen Parkanlage. Das grab des Unbekannten soll uns immer daran mahnen, dass wir in der tückischen Hungersteppe fest zusammen stehen müssen. Wir zeigen ihr, dass wir nicht kleinzukriegen sind. Kommt, Leute!

Die Menge begibt sich mit Assilbajew an der Spitze nach hinten. Minna, Hannes und Katharina bleiben im erhellten Vordergrund.

HANNES (den Abtretenden nachblickend): Nu i dela! E Komedje, jej Bocha!

KATHARINA: Was stehste, Hannes? Komm, mr misse mache, dass mr fortkomme.

HANNES: Na-a...

Aus dem Zelt kommt Hulda. Sie ist angekleidet, hat einen Koffer in der Hand. Ihr folgt Heinrich.

HEINRICH: Überleg dir, was du tust, Hulda.

HULDA: Bleib in deiner Wüste, wenn sie dir lieber ist als ich. (Geht voraus).

HEINRICH: Aber Hulda!

MINNA: Bring sie nach Hause, Heinrich. Die Aufregung in ihrem Zustande kann für sie gefährlich werden.

HEINRICH (eilt seiner Frau nach): Wart mal, Hulda! (Nimmt ihr den Koffer aus der Hand). Ich wusste nicht, dass du so starrköpfig sein kannst. (Beide ab).

KATHARINA (nimmt das Kleiderbündel auf den Bukkel): Komm, Hannes!

HANNES (zerrt ihr das Bündel vom rücken): Naa, mr bleiwe!

KATHARINA/ Naa, mr fahre ham.

HANNES: Naa, net!

KATHARINA: Jo!

HANNES: Naa!

Während sie das Bündel hin und her zerren, erlischt das Licht.

III.

Querschnitt durch Assilbajews Jurte, die zeitweilig Sitz des Kolchosvorstands ist.

Rechts auf dem umgestülpten Kasten ein Rechenbrett und Papiere, daneben eine Kist, auf der zusammengelegte Wattedecken liegen. Ein Samovar auf einem niedrigen Schemel. In der Mitte der Jurte ein niedriges Tischchen. Auf dem Tisch eine Teekanne, ein Tintenfass, Bücher und Papiere. An der Wand hängt der Grundriss der künftigen Siedlung.

Rechtes liegt auf einem Filzteppich ASSILBAJEW. Er hat den Kopf in die Hand gestützt und sinniert vor sich hin.

SPRECHER: (Stimme im Raum)

Voller Sorgen ist er,

der Sohn der Steppe.

Braungeschmort hat ihn die Südsonne.

Gegerbt hat ihm die Haut

der Wüstenwind.

Armut und Not

hat er früh kennengelernt.

Sie haben in ihm

den Mut geweckt,

das Leben zu ändern.

Die Sonne brannte wie eh und je

hier in der Wüste

alles unbarmherzig

nieder,

bis sich das Volk

des multinationalen Sowjetlandes

in unsäglicher Mühe

endlich

eiserne Helfer baute

und

stählerne Hände verschaffte,

um dem Ödland

im gemeinsamen Andrang

zu Leibe zu rücken.

Assilbajew geht um Lichtkegel zum Tischchen, blättert in einem Buch...

Und Assilbajew,

der in die Steppe mit ihren Tücken

wie seine fünf Finger kennt,

geht voraus,

um Wankenden und Kleinmütigen

im Kampfe mit der Wüste

Beistand zu leisten.

... Ein neuer,

mühevoller Tag

ist angebrochen.

Licht erhellt die ganze Jurte, HEINRICH tritt ein.

HEINRICH: Fu-ul ‚ne Hitze, dass einem die Zunge im Munde schmort.

ASSILBAJEW (gießt Tee ein): Nimm einen Schluck kalten grünen Tee, der erleichtert die Qualen.

HEINRICH (lässt sich am Tischchen auf dem Filzteppich nieder): Danke! (Trinkt). Nur ein Kultivator, das ist für die Katz. Die Baumwolle vergrast uns.

ASSILBAJEW: Wir sind nicht allein, mehr kann uns die MTS vorerst nicht schicken.

HEINRICH: Weiß ich ja. Hab schon alle, groß und klein, auf die Beine gebracht, um die Schläge zu jäten.

LEMMERT erscheint.

LEMMERT: Servus!

ASSILBAJEW: Was?

LEMMERT: Dein Diener! Heißt das. Bei den Österreichern ist es so üblich.

ASSILBAJEW: A-a! Guten Tag! Du bist doch kein Österreicher.

LEMMERT (lächelt): Zur Abwechslung gesagt, Assilbajitsch. Ich bin ein Niemand, ein Körnchen Staub im Wirbelsturm der Zeit.

HEINRICH: Verspätest dich gern, Lemmert. 's ist bald Mittag.

LEMMERT: Ich hab des Nachts gearbeitet. (Setzt sich an den umgestülpten Kasten, klappert auf dem Rechenbrett). Saldo-Buldo... O-och!

HEINRICH: Stimmt etwas nicht?

LEMMERT: Stimmen – schon. Eine riesige Summe habt ihr da für die Viehzucht vorgesehen.

ASSILBAJEW: Der Vorstand hat sie noch nicht bestätigt.

LEMMERT: Was der Vorsitzende vorschlägt, wird bestätigt.

HEINRICH: Demagogie, Lemmert! Unser Vorstand besteht nicht aus Vorschulkindern, die Leute wissen, was sie wollen und was nicht.

LEMMERT: Die wollen, was die Natschalstwo will. Aber die anderen...

ASSILBAJEW: Lemmert, was meckerst du wieder?

LEMMERT: Ach, Assilbajitsch! Würden Sie nur hören, was die Leute reden.

ASSILBAJEW: Lass sie doch reden, dazu ist ihnen die Zunge gegeben. Niemand verbietet ihnen, ihre Meinung zu haben.

LEMMERT: Viele sind am Verzweifeln.

ASSILBAJEW: Warum?

LEMMERT: Weil nichts hinten ist und nichts vorn.

HEINRICH: Du, Lemmert, singst das Lied der Panikmacher. Die meisten wussten, dass es nicht leicht sein wird.

LEMMERT: Gut, Genrich Genrichowitsch, die meisten wussten es, die Leute sind wirklich bereit, alles zu überstehen. Wir können die Lage jedoch erleichtern.

HEINRICH: Wie denn?

LEMMERT: Ich bin der Ansicht, dass man ihnen unverzüglich einen größeren Vorschuss gehen müsste. Wozu schon im ersten Jahr so viel Geld für die Viehzucht aus geben? Damit könnte man noch warten.

ASSILBAJEW: Meinst du?

HEINRICH: Ich bin entschieden dagegen!

ASSILBAJEW: Warum? Wenn man sich’s so überlegt, hat Lemmert recht.

HEINRICH: Assilbajitsch, versteh doch: Wir haben noch keine Reserven. Den Staatsvorschuss dürfen wir durch den Magen jagen. Wir fangen erst an, und ein Weiser hat gesagt: „Saatfrüchte sollten nicht vermahlen werden“.

ASSILBAJEW (lächelt): Und noch hat er gesagt: „Man muss das Außerordentliche wollen, um etwas Ordentliches zuwege zu bringen“. So meinst du’s, Genrich?

HEINRICH: Richtig!

LEMMERT: Goethe ist der Weise. Bravo! Wenn die reale Lage aber anderes verlangt? Wozu sollen die Leute darben?

HEINRICH: Unsere Leute haben schon anderes überstanden und murrten nicht, weil sie wussten, dass es sein musste.

LEMMERT: Vergleichst! Das war im Krieg.

HEINRICH: Und hier – ist das kein Kampf? Ich sage: Wenn wir uns heute mit Hilfe des Staates keine gründliche Wirtschaft anlegen, werden wir noch lange mit Schwierigkeiten zu tun haben. Das sage ich und werde darauf bestehen.

LEMMERT (grinst): Du bist wie jener Pater auf irgendeiner Insel im Norden Islands. Der behauptete steif und fest, der Polarkreis durchquere sein Bett in der Mitte, und liess es sich nicht ausreden. – Andrer haben auch ihre Meinung, Heinrich.

HEINRICH: Wenn sie was wert ist, wird sie beachtet.

LEMMERT: Fraglich... (Klappert auf seinem Rechenbrett). Nebenbei: auf besagter Insel gibt es keine Katzen. Ein Kater lebte da 20 Jahre und ist krepiert. Danach wurden keine Katzen mehr eingeführt.

ASSILBAJEW: Warum?

LEMMERT: Weil es auf der Insel keine Mäuse gibt.

Schweigen.

HEINRICH: Du spielst wohl darauf an, dass es bei uns kein Futter für das Vieh geben wird?

LEMMERT: Bist gar nicht so begriffsstutzig, wie man meinen könnte.

ASSILBAJEW: Lasst mal das Geschwätz! Der Vorstand hat immer das letzte Wort.

SOMOW und GULJAM-BOBO kommen. Sie streiten miteinander. Somow hinkt merklich.

SOMOW: Ach, lass nur deine Kinderlitzchen, Alter!

GULJAM-BOBO: Und ich sage, Kola, ihr kriegt da kein Wasser hin.

SOMOW (geht eilig zum Grundriss): Meinst wohl, Bobo, das waren Tölpel, die uns die Richtung der Aryks vorgezeichnet haben? Ich bin doch nicht von gestern, ich weiß, was ich tu. Die geodätische Aufnahme des Geländes hat nicht irgendwer gemacht, das waren geschulte Fachleute, die das Relief mit ihren Geräten geprüft haben.

GULJAM-BOBO: Geschulte – nicht geschulte... Das Wasser wird dahin nicht fließen.

SOMOW: Es wird!

HEINRICH: Was habt ihr miteinander? Was ist los?

SOMOW: Wir hatten den Aryk zum Baumwollschlag 3 ausgehoben und wollten gerade den nächsten (zeigt es auf dem Grundriss) – diesen da – beginnen, da kommt uns Guljam-Bobo über den Weg gelaufen. „Das Wasser wird dahin nicht fließen. Grabt in dieser Richtung“, sagt er und zeigt uns einen Knick nach links. Ich weigere mich, berufe mich auf den Grundriss, er wird wütend.

GULJAM-BOBO: Der Aryk zum 2. Schlag führt das Wasser auch zu träge.

SOMOW: Wieso?

GULJAM-BOBO: Weil man eine Unebenheit hätte umgehen müssen, die auf eurem Papier nicht zu sehen ist.

SOMOW: Alter, die Erde wurde fast zentimeterweis abgefingert, bevor etwas in den Grundriss eingetragen wurde.

GULJAM-BOBO: Gut! Wenn du, Kola, mit deinem Papier klüger sein willst, beriesele die Baumwolle selbst. Ich räume das Feld.

HEINRICH: Guljam-Bobo, warte mal: Wir müssen doch Klarheit schaffen. Wie kannst du behaupten, das Wasser wird geradeaus nicht fließen?

GULJAM-BOBO: Ich hab’s festgestellt.

HEINRICH: Wie denn?

ASSILBAJEW: Die alten Usbeken haben das heraus.

HEINRICH: Immerhin. Ich bin neugierig geworden. Wie machen die das ohne jegliches Gerät?

SOMOW: Mit dem Riecher.

GULJAM-BOBO: Kola, spotte nicht. Unsere Väter und Großväter kannten keine Geräte, aber das Wasser ist bei ihnen immer dahin geflossen, wo sie es haben wollten. Der Gouverneur von Kaufmann und später der Großfürst Konstantin Romanow, die die ersten Versuche machten, Bewässerungskanäle in die Hungersteppe zu ziehen, nutzen die Erfahrungen unserer Alten... Ich hab’s bei meinem Vater gelernt.

HEINRICH: Aber wie? Wie macht ihr das?

GULJAM-BOBO: Das muss gezeigt werden.

HEINRICH: Dann zeig es.

GULJAM-BOBO: Hier?

HEINRICH: Ja.

GULJAM-BOBO: Ihr werdet spotten und mich auslachen.

HEINRICH: Keinen Laut werden wir von uns geben, Ehrenwort!

GULJAM-BOBO (zögert): Na...

Er tritt vor die Jurte, sinkt in die Knie und verharrt wie im Gebet sekundenlang. Dann tastet er mit der flachen Hand die Erde ab, glättet sie und streckt sich aus. Er ändert die Lage seines Körpers einige Mal und erstarrt jedes Mal für eine Weile.

GULJAM-BOBO (steht auf und zeigt): Der Boden senkt sich in dieser Richtung.

HEINRICH und SOMOW eilen zum Grundriss.

SOMOW: Stimmt!

HEINRICH: wie hast du das festgestellt, Bobo?

GULJAM-BOBO: Meine Fußzehen und der Horizont haben es gezeigt. Dann fühlt man es ja auch, wohin der Boden sich senkt.

HEINRICH: Das ist ja allerhand!

ASSILBAJEW: Somow, gehorche dem Alten, ändere die Richtung der Aryks dort, wo er es haben will. Guljam-Bobo ist verantwortlich für die Berieselung der Felder, er weiß, was er braucht.

SOMOW: Bobo, du bist ein Hexenmeister ! (Legt ihm den Arm um die Schultern.) Komm, Alter!

HEINRICH: Einen Augenblick, Nikolai. (Somow kehrt zurück. Guljam-Bobo verschwindet). Deine Brigade setzt die Bäumchen, wo es ihr gerade passt. So geht das nicht. Die strengste Ordnung muss beibehalten werden. Vergiss nicht, aus den Sprösslingen gibt’s mal Bäume. Verstehst du?

SOMOW: Na, Genrich Genrichowitsch, ich bin doch nicht von gestern.

HEINRICH: Deine Kerle, die den Gehsteig entlang Ahorn pflanzten, haben’s nicht gerade ideal gemacht. Die Reihen sehen aus, als hätte ein Ochse sein Nass hingeschlängelt.

SOMOW: Ach, das hat Wolodja mit seiner Gruppe gepfuscht! Genrich Genrichowitsch, wir renken die Sache wieder ein.

HEINRICH! Ist diesjahr schon zu spät. Gebt acht, von eurer Arbeit hängt das künftige Aussehen unserer Siedlung ab. Wir wollen nicht nur reich, sondern auch schön leben.

MINNA tritt unbemerkt ein. Sie lässt sich an der Kiste mit den Wattedecken auf den Boden nieder. Arme, Beine und Gesicht sind sonnenverbrannt. Sie zieht ihr weißes Tüchlein vom Kopf und fächelt sich damit Luft ins Gesicht.

ASSILBAJEW (zu Somow): Da wir schon bei der Anpflanzung der Gärten und Grünanlagen sind, noch was, Brigadier. (Geht zum Grundriss). Schule und Klub müssen in dichtes Grün gehüllt werden, alles laut Grundriss, sinnvoll und akkurat! (Zeigt es). Das Grab des Unbekannten dürfen wir nicht vergessen, es kommt in diesem Winkel der Parkanlage zu liegen.

SOMOW: Was ist da noch lange zu planen? Wir umgeben das Grab mit einem Bretterzaun und basta!

ASSILBAJEW: E-s, nein, Nikolai. Das Grab soll einen symbolischen Sinn bekommen. Wir machen ein für allemal mit den Tücken der Hungersteppe Schluss, haben sie sozusagen für immer beerdigt. Wir richten hier ein Grabmal auf mit der Inschrift – na, wie denn? Sagen wir so: „Das soll dir nie wieder gelingen, Hexe!“

LEMMERT: Sie phantasieren, Assilbajitsch: Es wird noch manch einer von uns dran glauben müssen, eh wir die Hexe untergekriegt haben. Da können Sie getrost den ganzen Park für neue Gräber reservieren. Haben Sie die alte Menschikowa vergessen, die an Sonnenstich gestorben ist? Oder den Jungen, den Rachmankul, den ein Karakurt ins Grab gebracht hat? Meinen Sie, die Frauen, die wir gestern mit Blutdurchfall in die Stadt ins Krankenhaus schaffen mussten, kommen noch davon? Man sagt, bei den Abajern sei die Cholera ausgebrochen.

HEINRICH: Du Übertreibst wieder, Lemmert.

LEMMERT: Ist’s nicht wahr?

ASSILBAJEW: Trotzdem muss man nicht zum Schwarzseher werden. (Wendet sich an Minna). Ist was passiert, Minna?

MINNA: Wir haben Mittagspausen. Ich will ein Weilchen hier im Kühlen sitzen. Bin ganz kaputt.

ASSILBAJEW: Krank?

MINNA: Nein, einfach so. Müde bin ich. Ihr streitet euch hier um des Kaises Bart, und draußen auf dem Felde halten es die Leute nicht mehr aus.

SOMOW (tritt zu ihr): Minna, was höre ich? Lamentiere nicht, Minna, du nicht!

MINNA: Ich bin auch nicht aus Eisen, Nikolai.

SOMOW: Immerhin. Ich hab dich schon in schwierigerer Lage gesehen, da bestaunten wir alle deinen Mut. Weißt du noch?

Musik. Die Dunkelheit umhüllt allmählich alles – bis auf SOMOW und MINNA.

Zweite Rückblende

Im Partisanenlager.

SOMOW: Du bist doch ein Mordskerl, Minna! Ich kann mich nicht genug freuen an dir.

MINNA: Nanu!

SOMOW (hinkt vor ihr auf und ab): Sag mal, wie ist es dir gelungen, den Oberst in unsere Falle zu lokken?

MINNA (lächelt): Für eine Frau ist das doch eine Kleinigkeit, zumal ich (spöttisch) eine astreine Arierin bin und bei ihnen ach! so redlich diene.

SOMOW: Ich bangte sehr um dich! Unser Stab musste das große Tier haben, verstehst du?... Ich konnte all die Nächte nicht schlafen.

MINNA (blinzelt ihn schelmisch an): Wusste nicht, dass du so sentimental sein kannst, Nikolai.

Ein PARTISAN erscheint aus dem Dunkel.

PARTISAN: Genosse Kommandeur, die Kundschafter sind aus der Stadt zurück.

SOMOW: Moment, Kostja! Gleich komme ich.

PARTISAN: Gut! (Ab).

SOMOW: Nein, Minna, das ist keine Sentimentalität. Wie leicht hätte sich der Schweinehund an die vergreifen können.

MINNA (lacht): I wo denn!

SOMOW: Doch!

MINNA: So einfach war das für den nicht.

SOMOW: Minna, Minna, du weißt nicht, zu was Männer fähig sind, wenn sie schlecht sein wollen. Und erst recht diese faschistischen „Übermenschen“! Die erlauben sich alles.

MINNA: Erstens war der Herr Ranke nicht frech, weil er sich ja sicher war, dass ihm von selbst zufallen musste, auf was er wartete. Zweitens – hätt ich ihn glatt abgestochen, falls er...

SOMOW: Mein Gott! Das wär auch dein Tod gewesen.

MINNA: Höchstwahrscheinlich.

SOMOW: Ich hätte das nicht überlebt.

MINNA: Nanu!

SOMOW (schweigt eine Weile und setzt sich zu ihr): Minna, du weißt nicht, was du für mich bedeutest.

MINNA: Fängst wieder an? Dein Bein wäre auch ohne mein Zutun geheilt.

SOMOW: Wenn mich die Faschisten nicht vorher abgeknallt hätten – ja. Dir habe ich mein Leben zu verdanken, Minna.

MINNA: Nikolai, höre mal damit auf.

SOMOW: Mädel, merkst du wirklich nicht, dass ich in dir mehr sehe als eine Kampfgefährtin?

MINNA: Hör auf, Nikolai.

SOMOW: Ich... Ich liebe dich! So, jetzt weißt du’s.

MINNA (schweigt lange): Und ich liebe einen anderen.

SOMOW (springt auf): Wen?

MINNA: Geheimnis.

SOMOW: Sag’s!

MINNA: Er ist weit weg von hier.

SOMOW: Wo denn?

MINNA: Zu Beginn des Krieges hat er Schützengräben ausgehoben, dann wurde er an die Arbeitsfront geschickt. Wo er sich gerade jetzt befindet, weiß ich nicht.

SOMOW: Und du hängst im Ernst an ihm?

MINNA: Felsenfest!

SOMOW (geschlagen): Ja, dann... (nimmt sich zusammen). Also, meinen Dank für die ausgezeichnete Erfüllung des Befehls. Kannst auf eine Regierungsauszeichnung rechnen...

Das Licht weitet sich, und die Szene des III. Bildes wird fortgesetzt.

IV.

SOMOW: Du hast doch genug Bewusstsein und Willensstärke, um nicht zu lamentieren, Minna. Was werden deine Frauen dazu sagen?

MINNA: Deine Klawa reißt am weitesten auf Mund auf.

SOMOW: Ach, die!

MINNA: Und recht hat sie. Habt uns in die Sonnenglut getrieben und vergessen.

ASSILBAJEW: Bekommt ihr abgekochtes Wasser?

MINNA: Wer trinkt denn das? Wir holen es uns aus dem Aryk.

HEINRICH: Ihr werdet krank, die Ruhr wütet. Dass mir weiterhin kein rohes Wasser getrunken wird!

MINNA: Sorgt lieber, dass man nicht so oft trinken muss. Den lieben langen Tag unter stehender Sonne, die Frauen halten es nicht lehr aus. Nicht mal während der Mittagspause kann man sich ein Weilchen in den Schatten setzen.

ASSILBAJEW: Tja, da haben wir was versäumt. Bis die Bäumchen an den Aryks herangewachsen sind, müsste auf den Feldern da und dort ein Sonnendach stehen. Wie meinst du, Vorsitzender?

HEINRICH: Fein wär’s, aber wo nehmen wir Baumaterial her?

ASSILBAJEW: Nikolai, rufe mal den Iwan Iwanowitsch. Aber hurtig!

SOMOW: Wo steckt er?

HEINRICH: In der Mittagspause pappt der sicher was auf seinem Hofe, du kennst den doch.

SOMOW: Sofort. (Ab).

LEMMERT: Ja. 's ist Mittag, und nix zu fressen. Hab mit vergangene Nacht wieder zwei Schildkröten gekocht.

HEINRICH: Munden gar nicht übel. Zart und schmackhaft wie Hühnerfleisch.

MINNA: Die Schildkröten haben hinter dem Wasserkanal wieder einen großen Flecken Baumwolle abgeweidet. Kann man denn nichts gegen die Viecher unternehmen?

HEINRICH: Hören Sie, Assilbajitsch? Das ist doch unerhört!

ASSILBAJEW: Eben! Von solchem Flurschaden hatte bisher niemand gehört: Was schlägst du vor: schießen? Vergiften? Ihnen mit dem Knüppel nachrennen?

HEINRICH (lacht): Die holen Sie nicht ein. Auch vorm Stock haben die keine Angst. Wenn Sie denen auf den Panzer hauen, lachen sie sich ins Fäustchen. Schiessen? Ist unmöglich. Vergiften? Tun sie Ihnen nicht leid, Assilbajitsch? Harmlose Dinger sind das doch. (Schweigt). Wie wäre es, wenn...

ASSILBAJEW: Was – wenn?

HEINRICH: Wenn wir diese gepanzerten Frevler rings um unsere Felder sammeln und mit dem Laster weit in die Wüste fahren würden? Ehrenwort – die werden zehn Jahre brauchen, um wieder anspaziert zu kommen.

ASSILBAJEW: Eine Idee! Aber ja! Verdammt, warum rückst du erst jetzt damit heraus? Wir wären diesen Ärger längst schon los.

MINNA: Mobilisiert doch unser Kleinvolk, das ist für die Kinder ein Hauptspass!

HANNES tritt ein. Er hat eine Arbeitsschürze an und die Ärmel hochgekrempelt. Hinterm Ohr lugt ein Bleistift hervor.

HANNES: Wos will die Natschalstwo von mr?

ASSILBAJEW: Vor allem wollen wir doch ein bisschen loben, Iwan Iwanowitsch. Du und deine Leute schaffen tüchtig. Bei allen Wohnhäusern stehen schon die Wände, die Haus hat sogar das Dach auf sitzen.

HANNES: Genosse Partrog, des hun ich nooch dr Ärwet drufgesetzt. Wann dr Mond scheint, kann mr die ganz Nacht iwr schaffe.

ASSILBAJEW: Naja, du bist ein Meister, du machst alles im Handumdrehen.

HEINRICH: Auch einen Hühnerstall hat er sich schon gebaut.

HANNES: War noch ka Hinkl hun mr.

ASSILBAJEW: Alles mit der Zeit, Iwan Iwanowitsch.

HANNES: Nuja... Genosse Assilbajew, worum erlawe Se net, Eier Haus zu baue?

ASSILBAJEW: Die Sache hat ein Käkchen.

HANNES: Was dann?

ASSILBAJEW: Im Raykom hat man mir unlängst zu verstehen gegeben, dass ich hier nur zeitweilig bin.

HANNES: Kann net sei! Un mir?

ASSILBAJEW: Afanassi Grigoritsch, der Sekretär, hat mir gesagt: „Hilf diesem Kolchos auf die Beine, dann ziehst du weiter in die Wüste. Die Hungersteppe ist gross, es warten noch andere Neulandsiedler auf Hilfe.“ So hängen die Gurken, wie ihr sagt.

HANNES: Wotje na!

HEINRICH: Iwan Iwanowitsch, wir brauchen deine Hilfe.

HANNES: Wos is?

ASSILBAJEW: Unsere Baumwollbrigaden arbeiten unter freiem Himmel, die Leute haben keinen Unterschlupf, wenn sie sich ausruhen wollen. Du weißt, was das bei unserer Hitze bedeutet. Wir müssen so schnell wie möglich ein paar Schützdächer bauen. Was sagst du dazu?

HANNES: Des mache mr, awr...

HEINRICH: Ich kenne dein „awr“, Hannes. Gleich wirst du fragen: „Mit wos?“ Hab ich’s erraten?

HANNES: Ganz richtig, Predsedatel. Mit Lahmestaa kann mr ka Dach mache.

HEINRICH: Ich denke, du findest in deiner Brigade soviel Bauabfälle, um den Leuten auf dem Feld zu helfen.

HANNES: Naa, Genrich Genrichowitsch, bei uns gebt’s ka Abfäll, die gehen ins Geschäft.

MINNA: Sie haben Ihren Hühnerstall wohl aus lauter Lehmsteinen gebaut?

HANNES: Nu naa! Des bissche Holz un den Tol hun ich mr von meim Haus erspart.

HEINRICH: Siehst du, und du sagst, man kann bei uch keine Bauabfälle finden.

ASSILBAJEW: Genrich Genrichowitsch, die Leute haben das Baumaterial auf Kredit bekommen, also gehört es ihnen. Sie können damit verfahren, wie sie wollen.

HEINRICH: Gewiss, gewiss, aber...

ASSILBAJEW: Iwan Iwanowitsch, gleich nach der Mittagspause nehmt die Balken, Bretter und Schieferplatten, die auf meinem Hofplatz herumliegen und zimmert auf dem Felde Obdächer. Verstanden?

HANNES: Nuja, awr...

ASSILBAJEW: Komm, wir fädeln die Sache gleich ein. Danach bringe ich unser nacktbäuchiges Völklein auf die Beine. Ihr werdet bald hören, was für einen Höllenlärm die Schildkrötenjäger machen. Komm, Iwan Iwanowitsch.

(Beide ab).

HEINRICH setzt sich an das Tischchen und kramt in seinen Papieren herum. LEMMERT legt ihm Papiere vor.

LEMMERT: Dein Signum, Predsedatel! Hier die Bitte um Bauholz für die Viehställe. Hier das Schreiben an die Rayonabteilung Landwirtschaft. Ist zwar fraglich, ob du diesjahr einen zweiten Kultivator bekommst, aber: Frisch gewagt ist halb gewonnen! Hier das – was ist denn das? – aha, das Papierchen an die Bank.

HEINRICH: Wann fährst du?

LEMMERT: heute Nachmittag. Ja, Genrich Genrichowitsch, ich wollte fragen, ob ich die Gastfreundlichkeit deiner Schwiegereltern nicht missbrauche, wenn ich wieder bei ihnen einkehre. Ich weiß sonst nicht, wo ich in der Stadt übernachten würde...

HEINRICH: Bitte, die wissen Bescheid.

LEMMERT: Danke, Heinrich. Ich fühle mich da schon wie zu Hause. Dein Frauchen ist auch so 'n liebenswürdiges Ding, die fragt jedesmal nach dir. Warum lässt du sie nicht zu dir kommen?

HEINRICH: Ist für sie und das Kind zu schwer, im Zelt zu leben. Nachher, wenn unsere Wohnung fertig ist, hole ich sie.

LEMMERT (sammelt die unterzeichneten Papiere in seine Mappe. Summt vor sich hin): Der Krähe sandte Gott ein Stückchen Käse... hat der alte Barde Krylow gesagt... Alles in Ordnung, Vorsitzender! Schade nur, dass ihr euch über die Summe des fälligen Vorschusses noch nicht geeinigt habt, ich hätte die Sache morgen schon ins Rollen gebracht.

HEINRICH: Noch heute Abend versammeln wir den Vorstand.

LEMMERT: Geize nicht, Predsedatel, die Leute haben nichts zu essen. Mir dreht sich der Magen um, wenn ich daran denke, dass ich gleich meine Schildkrötensuppe fressen muss. Und dabei ist es für mich Junggesellen noch ein Leckerbissen.

HEINRICH: In den nächsten Tagen kannst du den Vorschuss holen. Du solltest nicht so tief ins Gläscher, gucken, Lemmert, kommst ja jedesmal beduselt aus der Stadt. Gewiss reicht einem danach das Geld nur für eine Schildkrötensuppe.

LEMMERT (mit einem gespielten Säufzer): Ach, Predsedatel, stäkest du in meinen Hosen!... Also – Priwetik! Ich eile zu meiner Delikatesse. (Ab).

MINNA: Komischer Kauz, der Lemmert. Hat der keine Familie?

HEINRICH: Er sagt, er hätte sie während des Krieges verloren. Eine Bombe hätte sein Haus samt Frau und Kindern vernichtet.

MINNA: Mir kommt er manchmal dämlich vor, oder nicht ganz geheuer.

HEINRICH: Ein Sonderling, aber seine Arbeit versteht er. (Schweigen).

MINNA: Heinrich, du willst wohl nicht zu Mittag essen? Komm, ich mache schnell einen Tee.

HEINRICH: Wegen mir brauchst du es nicht zu tun. Assilbajew hat von zu Hause frischen Kumys und Fladen gebracht, ich habe Fischkonserven und Brot. Das reicht für einen Imbiss.

MINNA (nach langem Schweigen, leise): Heinrich, warum bist du so?

HEINRICH: Wie denn?

MINNA: Du gehst mir aus dem Weg, warum meidest du mich? Hab ich dir etwas Böses getan?

HEINRICH (verlegen): Aber auch gar nichts! Du bleibst meine liebe Schwägerin bis ans Grab.

MINNA (steht hastig auf und eilt davon): Eben... Und ich dumme...

HEINRICH (stutzt): Minna, was soll das bedeuten? Minna!... (Schüttelt den Kopf).

HEINRICH blickt MINNA eine Zeitlang nach, dann blättert er in seinen Papieren, arbeitet.

MUKAN tritt etwas scheu ein.

MUKAN: Salam!

HEINRICH (ohne aufzublicken): Danke schön – salam, salam!

MUKAN: Bist du der Basmarka?

HENRICH (hebt den Blick): Ja.

MUKAN: Ich... mein Mutter und ich, wir Kolchos beitreten wollen.

HEINRICH (lässt die Augen nicht von dem Jungen): Du und deine Mutter?

MUKAN: Ija.

HEINRICH: Vater habt ihr wohl keinen?

MUKAN: Shok... nein, ist gestorben.

HEINRICH: Von wo seid ihr?

MUKAN: Aul Berlik.

HEINRICH: hast du was gelernt?

MUKAN: Ija. Traktorist.

HEINRICH: Aha! Das gefällt mir schon. Kannst du ein Gesuch schreiben?

MUKAN: Versuch ich.

HEINRICH: Da hast du ein Blatt Papier, setz dich und schreib. Beginne so: „An den Vorstand des Kolchos, Sarja“. Und dann weiter.

MUKAN kniet am Tischchen nieder und schreibt.

HEINRICH beobachtet ihn.

MUKAN (reicht ihm das Blatt): Wann kommen?

HEINRICH: Wenn der Vorstand euch aufgenommen hat – morgen, übermorgen.

MUKAN: Rachmet!

HEINRICH: Aber, Junge, wo werdet ihr vorerst wohnen? Wir haben kein Haus frei.

MUKAN: Wir brauchen nicht.

HEINRICH: versteh nicht. Ihr werdet doch nicht im Winter unter freiem Himmel hausen?

MUKAN: Warum freie Himmel? Wir Jurte haben.

HEINRICH: Eine Jurte habt ihr? Na, dann seid ihr ja reich.

MUKAN: reich nicht, aber Jurte haben.

HEINRICH: Also – gut (Schaut in Mukans Gesuch). Morgen kannst du – wie heißt du nur?... Nurmachanow?!

MUKAN (lächelt): Ija, Mukan Nurmachanow.

Musik setzt ein. HEINRICH steht auf und starrt MUKAN schweigend an.

Licht aus.

Dritte Rückblende

HEINRICH allein im Lichtkegel. Im Dunkel fernes Kriegsgedröhn. Neben Heinrich steht ein Köfferchen.

HEINRICH (spricht ins Dunkle): Zögere nicht länger, Emilie fahre mit.

EMILIE (aus dem Dunkel): Heinrich, vielleicht kannst auch du fort mit der Herde? Dann gehe ich mit dem Kinde mit, wir müssen doch beieinander bleiben.

HEINRICH: Geht nicht, Emilie. Weißt doch, alle Männer gehen an die Front, das Vieh treiben die Jungens fort. Ich muss ins Kriegskommissariat, wir werden Schützengräben ausheben, sagt man. Ihr müsst machen, dass ihr fortkommt, sonst geht es euch wie den Hoffnungstalern. Die sind nicht mehr davongekommen, siehste, jetzt sind sie drüben, hinter der Front. Wer weiß, ob Minna und Viktor noch am Leben sind.

EMILIE: Du lieber Gott, wie schnell doch alles gekommen ist! Mir ist so bang, Heinrich, wir kommen nicht mehr zusammen.

HEINRICH: Schlag dir die Sorgen aus dem Kopf. Der Krieg wird nicht ewig dauern, dann sehen wir uns wieder.

EMILIE: Du willst mich trösten, Heinrich.

HEINRICH: Emilie, wir sind nicht die einzigen, die sich trennen müssen.

STIMME AUS DER FERNE: Steinhauer, wo ist Ihre Frau mit dem Kind? Wir können mit dem Transport nicht mehr warten.

HEINRICH (ruft zurück): Gleich kommen sie, Alter. Hast du gehört, Emilie?

EMILIE (kommt mit dem Jungen ins Licht. Sie hat ein weißes Tüchlein um die Stirn gebunden und sieht krank aus): Mein Gott, Heinrich!

HEINRICH: Beruhige dich, alles wird wieder gut.

EMILIE: Wo wollen die mit uns hin?

HEINRICH: Ins Hinterland, wo kein Krieg ist.

EDIK (Schmiegt sich an den Vater): Pap, nimm mich mit, ich kann schon reiten.

HEINRICH (nimmt den Jungen auf den Arm): Nein, Edik, du bleibst bei Mama.

EDIK: Ich will mit dir mit, auf dem Kasbek will ich reiten.

HEINRICH: Der Kasbek, Edik, ist auch im Krieg, der hilft den Rotarmisten, die Faschisten schlagen.

EDIK: Der kann ja gar nicht schießen!

HEINRICH: Nein, schießen kann der wirklich nicht. Er hilft die Kanonen schleppen.

EDIK: Dann gib mir die Dunjka. Die ist faul, aber sie hat einen breiten weichen Rücken.

HEINRICH: Wenn wir zurückkommen und ich wieder im Stall arbeite, darfst du auf allen Pferden ein bisschen reiten.

EDIK: Nein, auf dem Swistun will ich nicht, der beisst und schlägt aus.

HEINRICH: Na, dann nicht. – Gehen wir, die anderen warten schon auf euch. Auch ich muss fort.

EMILIE (fällt ihm an den Hals): Heinrich...

Licht aus.

V.

Ein kitschig ausgestattetes Schlafzimmer. Schwere Vorhänge, an der Wand Bilder und Bildchen. Ein Diwan mit hoher Rückenlehne, auf der Papierblumen, Tierfiguren und –figürchen aus Gips und Glas stehen. In der Ecke rechts ein Holzbett mit dem Kopfende zum Publikum. Daneben eine Wiege.

Stille, nur die Wanduhr tickt.

Es wird leise an die Tür geklopft. HULDA hebt im Bett den Kopf.

Es klopft lauter.

HULDA (stößt Lemmert neben sich an): Hörst du?

LEMMERT (im Schlaf): Was denn?

Das Klopfen wird heftiger.

HULDA: Da ist jemand... Heinrich!

LEMMERT (springt auf): Kann nicht sein!

HEINRICH (hinter der Tür): Hulda, mach auf!.. Hulda, warum schweigst du? Ist was passiert?

LEMMERT springt aus dem Bett, hascht nach seinen Kleidern. Das Hämmern und Rufen hinter der Tür wird immer heftiger und lauter. Das Schloss knackt. LEMMERT rafft seine Kleider zusammen, befühlt die Innentaschen und springt aus dem Fenster. HEINRICH blickt sich erregt im Zimmer um.

HULDA: Was hast du nur? Du schreckst das Kind aus dem Schlaf.

HEINRICH: Warum öffnest du nicht?

HULDA: Kommt da mitten in der Nacht an! Was wusste ich...

HEINRICH: Passt dir wohl nicht?

HULDA: Doch, aber...

HEINRICH (erblickt das offene Fenster): War hier wer?

HULDA: Nie-mand... Was fällt dir ein?

HEINRICH: Warum steht das Fenster offen?

HULDA: Es schläft besser bei offenem Fenster.

HEINRICH: Sonderbar! Du hattest doch immer vor jedem Luftzügchen Angst. (Ahmt ihr nach). „Das Kind! Das Ki-ind!“ Nun reißt sie das Fenster mitten in der Nacht auf. Du erkältest die Kleine.

HULDA (steigt aus dem Bett und schliesst das Fenster): Du bist unausstehlich geworden, Heinrich.

HEINRICH: Meinste?

HULDA (schnupft): Hätte niemals gedacht, dass du so wirst.

HEINRICH: Wie denn?

HULDA (schluchzt): Auf den Armen hat er mich getragen: Hulda, Huldchen... Und nun...

HEINRICH (sinkt auf den Diwan und lässt den Kopf hängen): Hulda...

HULDA: Musste ich, dämliche Kuh, mich auch an den alten Esel hängen! O-o-o!

HEINRICH: Dachtest du wirklich ich werde dich dein Leben lang auf den Armen tragen? Ich habe meine Arme auch zu etwas anderen nötig.

HULDA: Will eine Familie haben und kann ihr keine menschliche Verhältnisse schaffen. Watet da im Dreck wie so’n...

HEINRICH: Verhältnisse schaffen! Das ist ebenso deine Pflicht wie meine. Aber du... Warum hast du mich allein gelassen? Die Frauen der anderen weichen keinen Schritt von ihren Männern.

Schweigen.

HULDA (setzt sich zu ihn): Du gibt mir vielleicht einen Kuss? Wir haben uns doch schon so lange nicht gesehen.

HEINRICH (küsst sie): Hulda, Huldchen...

HULDA: So, das ist was anderes, als immer wie ein Kettenhund zu knurren.

HEINRICH: Unser Haus ist bald fertig, dann kommt ihr zu mir.

HULDA (steht auf und geht zur Wiege): In die Wüste? Heinrich, wozu haben wir das nötig?

HEINRICH (betrübt): Fängst du wieder an?

HULDA: Wirklich! Wir lebten hier in der Stadt schon so schön und könnten auch weiter so leben. Ich bin Alleinerbin, und das Haus ist schon auf mich geschrieben. Was wollen wir noch mehr?

HEINRICH (blickt sich um): Wir wären hier bald verspiessert bis auf die Knochen. Du hörst ja nicht auf, allerlei Dreck zu kaufen, dabei so teure Sachen. Wo nimmst du nur das viele Geld her?

HULDA: Ich hab immerhin noch Eltern und bin ihre Einzige. Die Sachen... die kosten dir doch nichts... Ich will, dass es dir bei mir gefällt, vielleicht besinnst du dich noch.

HEINRICH: Nein, ich bin auf dem Lande aufgewachsen, mich zieht’s zur Scholle. Außerdem habe ich Parteipflichten.

HULDA: Man hat dir aufgeschwatzt, die Stadt zu verlassen; willenlos bist du.

HEINRICH: Niemand hat mir was aufgeschwatzt, ich hab mich selbst angetragen.

HULDA: Hattest so gute Arbeit.

HEINRICH: Wozu darüber reden, ist alles vorbei und rum. Und ich bereu’s auch gar nicht.

HULDA: Wenn du für deine Baumwolle mehr übrig hast als für mich, dann...

HEINRICH: Hulda!

HULDA: ... dann bleibe nur getrost, wo du bist. Ich geh mit dem Kinde nicht in die Wüste.

HEINRICH: Erstens ist da von Wüste schon wenig zu sehen und dann – das Kind ist ebenso mein wie dein. Die Leute haben auch Kinder und leben da.

HULDA: Und ich hab’s nicht nötig.

HEINRICH: Hulda, das ist doch unvernünftig! Wir sind mal Mann und Frau und gehören zusammen.

HULDA: Was hält dich dort? Fjodor Jakimowitsch fragt jedesmal nach dir, wenn er mich sieht. Der würde dich wieder mit Handkuss als Hallenleiter anstellen.

HEINRICH: Weiss ich! Aber versteh: das ist nichts für mich, ich bin zum Bauern geboren.

HULDA: Starrköpfig bist du wie immer, rechnest nur mit dir... (Weint).

HEINRICH (steht auf): Nun gut, lassen wir das für heute. Ich bin nicht deswegen heimgekommen. Wann du nur wüsstest, wie ich mich nach dir und der Kleinen sehne. (Geht zum Bett, streift das Hemd von sich). Wärest du nicht so eigensinnig, könnten wir immer so schön beieinander sein.

HULDA (schnupft): Du willst es so haben.

HEINRICH: Komm, die Nacht ist bald rum, wollen noch etwas ruhen. (Stößt sein Kissen zurecht und erstarrt plötzlich. Reißt das Kissen hoch und zieht Lemmerts Mappe hervor). Ach so-o-o! (Blickt zum Fenster). Also war der Schweinehund bei dir im Bett?! (Wird rasend). Verfluchtes Hurennest! (Zerrt die Bettsachen hoch und wirft sir wütend im Zimmer herum). Da habt ich’s!... Da habt ihr’s!! Und ich Esel... Ich Dummkopf!...

Das Kind weint.

HULDA: Heinrich!

HEINRICH (sinkt erschöpft auf den Diwan): O Hulda, Hulda!... An das Kind hast du nicht gedacht?... Warum straft mich das Schicksal so grausam?

HULDA (nähert sich ihm): Heinrich, ich...

HEINRICH: Weg! (Springt auf und stiert die Gegenstände im Zimmer an). Für Lumpen und Lappen hat sie sich verkauft... Und der Schildkrötenfresse, wo hat der das viele... Halt! (Rennt an den Tisch, kramt in den Papieren der Mappe herum). Verflucht! Deshalb drückte der Schuft so drauf, dass der Vorstand einen größeren Vorschuss bewillige. Und ich dachte, er hat in der Bank Schwierigkeiten, weil er so lange nicht kommt. (Leidet sich hastig an, ergreift die Mappe und eilt dem Ausgange zu).

HULDA: Wohin, Heinrich?

HEINRICH: In die Miliz, wohin den sonst! (Schon an der Türschwelle). Und du... du tust mir wirklich leid... (Ab).

HULDA räumt schluchzend das Bettzeug zusammen. Licht aus.

VI.

Minnas Wohnung.

Ein eisernes Bett in der Ecke, ein Tisch, Schemel.

MINNA sitzt am Tisch und liest einen Brief.

HEINRICH tritt ohne anzuklopfern ein. Er ist im Regenmantel, hält die Mütze in der Hand.

MINNA (wendet sich um): Du? Setz dich.

Sie liest weiter. HEINRICH setzt sich ihr gegenüber an den Tisch.

HEINRICH: Entschuldige, dass ich störe.

MINNA: Störst nicht. (Liest weiter).

HEINRICH: Von wem ist der Brief – wenn’s kein Geheimnis ist?

MINNA (legt den Brief vor sich hin und drückt die Hände drauf): Von Viktor.

HEINRICH (verwundert): Von Viktor? Doch nicht von deinem Bruder?

MINNA: Doch!

HEINRICH: Nanu! Von dem war doch bisher nichts zu hören.

MINNA: Er wusste nicht, wo ich bin. Wir trafen uns damals nicht mehr. Wohin ihn das Schicksal verschlagen hatte, wusste ich nicht. Nun hat ihm der Jorch, der Andres – du weißt doch: sie wohnten in Hoffnungstal uns gegenüber – der Jorch hat ihm aus Taschkent meine Adresse geschickt. Der Alte Andres ist doch auch drüben.

HEINRICH: In der Bundesrepublik?

MINNA: Ja.

HEINRICH: Na, und was schreibt mein Schwager?

MINNA: Verrückte Sachen! Ist verheiratet, hat schon zwei Gören, einen Bub und ein Mädel. Er schreibt, er ist reich geworden.

HEINRICH: Was du nicht sagt! Naja, der war schon als Springer so verrückt aufs Geld, bettelte immer bei mir um paar Kopeken, der Schelm!

MINNA: Viktor hat ein Mädchen geheiratet, das reich ausgesteuert wurde. Er schreibt, er beschäftige einige hundert Arbeiter. Kann mir nicht vorstellen, wie diese Rotnase einen Herren macht.

HEINRICH: Hmja! Also haben wir unter unseren Verwandten einen Ausbeuter. Ist ja allerhand!

MINNA: Er ruft mich zu sich.

HEINRICH: Wie? Was?

MINNA: Wir sind von unserer Familie nur noch zu zweit geblieben, schreibt er, und müssten beieinander leben. Er fühle sich verantwortlich für mein Wohlergehen, schreibt er.

HEINRICH: Und du?

MINNA (schweigt lange): Ich bin sehr einsam – war und soll ich’s verheimlichen? Manchmal möcht’ ich wie ein Wolf in die Welt hinein heulen. So menschenseelenallein... Wenn man im Leben umgangen wird..; Du bist zu stolz geworden...

HEINRICH: Minna...

MINNA: Ich weiß, was du sagen willst... Gut! Also, da hinüber mache ich nicht. Was wir hier alles in der ersten Zeit durchgemacht haben – und jetzt diesen Fleck Erde verlassen, vergessen? Ich will auch kein Gnadenbrot essen. So oder anders – ich würde bei Viktor Magd sein, darauf liefe es ja doch hinaus.

HEINRICH: Recht hast, Minna. Wie’s uns auch geht – wir sind Herr über uns selbst. Und was wir schon geschafft haben, trotz Wüstenwind und Lemmert und...

MINNA: Nur gut, dass die Miliz den recht bald geschnappt hat! Und weißt du, was mich damals so tief gerührt hat: Wie uns die Nachbarkolchose unter die Arme griffen, als wir in der Patsche steckten. So was gibts bei dem Viktor drüben sicher nicht!

HEINRICH: Wäre alles schön und gut, hätte mir Hulda das nicht angetan. Die Kleine tut mir leid. Schon das zweite Kind habe ich verloren. (Steht auf.) Ja, warum bin ich eigentlich gekommen?

MINNA (mit wehmütiger Ironie): In Kolchosangelegenheiten, ist doch klar! Soll ich sie dir an den Fingern aufzählen? (So als würde sie in einer Kolchosversammlung auftreten.) „Maschinen müssen her in erster Linie! Auch die Reparaturwerkstatt muss schleunigst unter Dach kommen, auch der Klub!“

HEINRICH (geht auf den übertrieben offiziellen Ton ein; sehr bald aber vergessen beide das Spiel und reden in vollem ernst weiter) „Und die Mühle! Die Mühle! Och, ob das Geld dazu ausreicht?

MINNA: Nicht alles auf einmal, Vorsitzender. Nächstes Jahr ist auch ein Jahr! Aber sag mal, Heinrich, wie steht’s mit dem Rinderfutter?

HEINRICH: Müsste eigentlich ausreichen. Wer hätte sich gedacht: Im November die Herde noch auf der Weide!

MINNA: Und wo gab’s früher den Begriff: den Boden waschen!

HEINRICH: Tja, der Salzboden lässt nicht mit sich spaßen. Und wir wollen doch nicht bloß paar lumpige Jährchen hier bleiben – für immer!...

MINNA (plötzlich sehr eindringlich): Für immer! Und da fragst du noch, was ich dem Viktor antworten werd... Aber nun mal Schluss mit all dem Kolchoskram! Sag, ist was mit deiner Gesundheit! Fühlst du dich schlecht?

HEINRICH: Nein, ich bin... na, wie soll ich’s sagen? Ausgehöhlt bin ich, weiss nicht, was ich mit mir anlangen soll (setzt sich geschlagen).

MINNA: Gleich mache ich Kaffee.

HEINRICH: Lass nur, mir ist nicht nach Kaffee. (Blickt sich um). Du könntest schon besser leben, Minna.

MINNA (beleidigt): Meinste?

HEINRICH: Alle Tage geht ein Laster in die Stadt. Unsere Leute haben bald die Stadt leergekauft.

MINNA: Lass sie doch! Mir genügt, was ich habe.

HEINRICH: Sparst, ja?

MINNA (zieht die Tischlade auf, ergreift eine Handvoll. Geldscheine und wirft sie auf den Tisch): Da... kannst es haben.

HEINRICH: Aber Minna!

MINNA (lässt den Kopf auf die Arme sinken, schluchzt): Blind bist du... und herzlos.

HEINRICH (tritt zu ihr): Nu, nu! Lass mal die Tränen, Schwägerin, die passen nicht zu dir.

MINNA: Du bringst einen soweit.

HEINRICH: Ich?

MINNA: Du weißt doch, dass ich... ich kann nichts dagegen tun, es sitzt in mir, und du weißt es, weißt es, weißt es!

HEINRICH: Minna, wozu das?

MINNA: Du tust, als existiere ich nicht.

HEINRICH (bedrückt): Das ist ungerecht von dir.

MINNA: Jetzt, wo dich doch nichts bindet... jetzt...

HEINRICH: Du weißt nicht, was in mir vorgeht. Zum Verrücktwerden! Lass mich erst mal zu mir kommen nach all dem, was mir Hulda angetan hat (schweigt). Ja, ich wollte dich bitten, mir in einer Sache behilflich zu sein.

MINNA (blickt ihn aufhorchend an): Womit kann ich dir schon helfen?

HEINRICH: Kennst du Mukan?

MINNA: Den mit der Kasachenmutter? Gewiss kenne ich den. Der hat doch meine Schläge umgepflügt. Der wohnt mit seiner Apa immer noch in der Jurte.

HEINRICH: Er weigert sich, ein Wohnhaus zu bauen, obwohl ihm alles dazu angeboten wird.

MINNA: Ja, bei denen wird es jetzt recht ungemütlich sein, wo der Wind Tag für Tag so bläst.

HEINRICH: Die sind’s gewöhnt... Aber nicht deswegen hab ich Mukan erwähnt. Weißt du, der Junge will mir nicht aus dem Sinn.

MINNA: Was hast du an dem gefunden?

HEINRICH: Der Junge ist kein Kasache, das wissen alle. Unser Edik wäre in seinem Alter.

MINNA: Was? Du meinst... Emilie kam doch mit dem Jungen nach Nordkasachstan... Eine solche Vermutung!

HEINRICH: Als ich Mukan zum ersten Mal sah, gab’s mir einen Stich, seitdem geht er mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe schon durch Leute nachfragen lassen, wie der Junge in die Kasachenfamilie gekommen ist, aber Mukan weicht einem Gespräch darüber entschieden aus. Eigentlich sonderbar. Was mag dahinterstecken?

MINNA: Weißt, ich glaub fast, wenn der Junge nicht so braungebrannt wäre, er hätte was von meiner Schwester.

HEINRICH: Na, siehst du, siehst du! Mich lässt der Gedanke nicht los.

MINNA: Du bist eben aus Rand und Band und suchst dich an etwas zu klammern. Tust mir einfach leid.

HEINRICH: Minna, ich muss mir Klarheit schaffen, sonst finde ich keine Ruh mehr. Ich wollte schon selbst mit Mukan unter vier Augen sprechen, aber... Weißt du, eine Frau kriegt das besser fertig. Wie wär’s, wenn ich den Jungen mal zu dir schicke?

MINNA: Naja, sagst ihm: „Mukan, Tante Minna will wissen, ob du dem Basmarka sein Sohn bist.“ So etwa?

HEINRICH: Du spottest, Schwägerin, und mir ist’s todernst.

MINNA: Ich spotte nicht. Gott behüte!

HEINRICH: Ich werde mir schon was einfallen lasse, wenn du nur einverstanden bist.

MINNA: Wann soll’s geschehen?

HEINRICH: Heute... Am besten gleich. Ich bin eigentlich deshalb zu dir gekommen. Mukan hat heute Ruhetag, das trifft sich gut.

MINNA: Na schön, schick ihn her. Aber mach dir keine Illusionen, Heinrich!

HEINRICH: Ich gehe also.

MINNA: Wenn wir bloß den Jungen nicht noch scheuer machen, als er ohnehin schon ist... Ich kann mich an Edik kaum erinnern, weiß nur, dass er mich einmal, als ich bei euch zu Gast war, ganz schön bepisst hat.

HEINRICH lacht und geht. MINNA verschwindet in der Küche. Das Rauschen des „Primus“ ist plötzlich zu hören. Sie kommt zurück, räumt im Zimmer auf und deckt den Tisch. Es klopft.

MINNA: Ja! Bitte herein!

MUKAN (tritt sonntäglich gekleidet ein): Sdrastje, Minna-Tjotja!

MINNA: Danke schön, Mukan. Tritt vor, setz dich.

MUKAN: Rachmet... das heißt – danke! Basmarka hat mich geschickt besprechen.

MINNA: Was besprechen?

MUKAN: Ich soll helfen in die Stadt fahren, Sie wollen Bett, Schrank, Diwan kaufen.

MINNA: Ach ja! Siehst du, Mukan, fast alle haben sich schon schön eingerichtet, nur ich kann mich allein nicht mit den schweren Sachen abschleppen.

MUKAN: Ich gern helfe. Wann kommen?

MINNA: Ich weiss noch nicht genau... Ich sag’s dir heute abend.

MUKAN: Na dann… Ich geh.

MINNA: Einen Augenblick, Mukan! Gleich kocht der Tee.

MUKAN: Spassibo. Ich will nicht Tee.

MINNA: Warum denn nicht? Du trinkst doch gerne Tee, deine Mutter hat gesagt.

MUKAN (lächelt): Alle Kasachen trinken Tee gern.

MINNA: Siehst du! Setz dich. Du ähnelst einem Kasachen nicht sehr.

MUKAN: Bin Kein Kasache.

MINNA: So! Wer bist du denn?

MUKAN: Wozu das reden?... Alles vergessen. Ich Mutter hab: Galija-Apa. Weiter weiß ich nichts.

MINNA: Wie bist du zu deiner Apa gekommen?

MUKAN (schweigt lange): Galija-Apa sagt, ich soll nicht erzählen.

MINNA: Warum sagt sie das?

MUKAN: Hat Angst.

MINNA: Angst? Wieso denn?

MUKAN: Weiß nicht... Doch wohl denkt sie, jemand mich fortnimmt. Sie ist allein geblieben.

MINNA: Ach so!... Naja... Wie hieß dein Vater?

MUKAN: Sapargali-Ata.

MINNA: Wo ist er?

MUKAN: Gestorben. Noch Nordkasachstan.

MINNA: In Nordkasachstan? Ihr seid wohl von dort?

MUKAN: Ija. Aul Schoga.

MINNA: Und wie seid ihr nach dem Süden gekommen?

MUKAN: Nachdem Vater gestorben, wollte Mutter zu Bruder nach Arys. Dort wir zwei Jahre bei Baubek-Aka lebten. Abubek-Aka hat viel Bala und keinen Platz. Er uns eine Jurte kaufte. Im Kolchos ich lernte. Traktorist.

MINNA: So wanderst du mit deiner Galija-Apa von Ort zu Ort? Klagt deine Mutter nicht?

MUKAN: Hat nur mich, wo ich hin, dort sie hin. Ist sehr gut, mein Galija-Apa.

MINNA: Liebst du Sie?

MUKAN: Sehr guter Mensch! Hat mich großgezogen, ich lass sie nie im Stich.

MINNA: So gehört es sich auch, mein Junge. (Nach kurzem Schweigen). Mukan, kannst du dich an deine andere Mutter nicht mehr erinnern?

MUKAN: Ein bisschen, tschutj-tschutj.

MINNA: Wie hieß sie? Weißt du nicht mehr?

MUKAN: Wozu das fragen? Nicht fragen, ich will nicht.

MINNA: Interessiert mich einfach. Mir kannst du es sagen, ich werde schweigen.

MUKAN: Wenn Sie keinem sagen… Milja oder Malja.

MINNA (springt hoch): Und du… du… wie wurdest du gerufen, als du klein warst?

MUKAN: Wozu… Nein, will nichts wissen. Wenn Apa hört...

MINNA: Nicht Edik?

MUKAN (erhebt sich langsam, starrt Minna an): Was? E-dik?... Ija, Edik... Woher wissen Sie das, Tante Minna?

MINNA (fällt dem verblüfften Jungen um den Hals): Um Gottes willen, Edik, Edik!... Ich bin deine Tante, Kind...

MUKAN: Tante? Warum?

MINNA: Ja, die Schwester deiner Mutter... deiner anderen Mutter, deiner bluteigenen Mutter.

MUKAN: Kann nicht sein... Tante? Weiß nichts.

MINNA: Dummerjan! Gewiss kennst du mich nicht… O Gott, Edik! Jetzt pass mal auf: Weißt du auch, dass dein Vater noch lebt?

MUKAN: Va-ter?... Mein Vater?

MINNA: Nicht Sapargali-Ata, der andere Vatr.

MUKAN: Kann nicht sein!

MINNA: Deine Mutter ist in Nordkasachstan während des Krieges gestorben, das wissen wir. Wo du geblieben warst, konnte man nicht ausfindig machen... Dein Vater ist noch am Leben.

MUKAN (mit stockendem Atem): Ist nicht… wahr... Sie reden so... Sie reden nur so...

MINNA: Als der Krieg begann, wurdest du mit deiner Mutter evakuiert. Dein Vater hob Schützengräben aus, dann kam er nach Tscheljabinsk in einen Rüstungsbetrieb.

MUKAN (schweigt lange): Er ist Nemis?

MINNA: Ja, Mukan. Du bist auch Deutscher.

MUKAN (lässt sich auf den Schemel nieder und schweigt wieder lange): Und wo ist jetzt Vater?

MINNA: Du hast ihn schon gesehen.

MUKAN: Ich gesehen?!

MINNA: Eben hat er dich zu mir geschockt.

MUKAN: Mich geschickt?... Genrich Genrichowitsch? Der Baskarma?

MINNA: Ja.

MUKAN (schlägt die Hände vors Gesicht): Ist nicht wahr... kann nicht sein!

MINNA (tritt zu ihm): Ist alles wahr, Mukan.

MUKAN (springt auf und eilt zur Tür): Ist nicht wahr...

MINNA: Wohin, Mukan? Bleib, du findest den Vater jetzt doch nicht… Er kommt bald hierher.

MUKAN (setzt sich erregt auf seinen Schemel): drum er mich schon paarmal gefragt: „wo sind deine Eltern – Papa, Mama?“ Ich sag! „Weiß nicht!“ Wollte nichts Unnötiges sagen, Galija-Apa hat Angst.

MINNA: Deine Galija-Apa, Mukan, braucht keine Bange zu haben, die lassen wir nicht allein. Die gehört doch jetzt zu uns.

MUKAN: Mein Vater keine Frau hat? Ich hab gehört...

MINNA: Nein, Edik, du hast keine Stiefmutter. Dein Vater lebt allein.

HEINRICH tritt ein. Er bleibt an der Tür stehen und beobachtet die beiden.

MINNA (erblickt ihn): Heinrich, dein Herz ahnte es, das ist Edik.

MUKAN steht auf und blickt HEINRICH an. Der Vater geht langsam auf den Sohn zu und umarmt den noch Bewegungslosen stürmisch. Dann fällt auch Mukan dem Vater um den Hals. MINNA blickt ihnen mit Tränen in den Augen zu.

HEINRICH (wischt sich die Tränen): Ist schon gut, Kind!... Mein Junge! Welches Glück! Nicht zu glauben...

MUKAN: Ich glaub es nicht, ist nicht wahr... (Gedehnt, als gewöhne er sich an das Wort.) Pa-pa...

HEINRICH: Ich hab dich verloren, als du noch so 'n Knirps warst. Den Kasbek wollte er immer reiten. Der Kasbek war jedoch schon an der Front. Den Swistun konnte er nicht leiden. „Nein, den Swistun will ich nicht“, wehrte er sich, „der beisst und schlägt aus. Gib mir lieber die Dunjka.“

MUKAN: Kasbek, Swistun, Dunjka... Wie oft die Namen in meinem Kopf! Ich wusste nicht, warum. Also gab’s die Pferde?

HEINRICH: Es gab sie, Edik... Es gab noch mehr... An mich und deine Mutter kannst du dich noch erinnern?

MUKAN: An dich – shok, an Mama, bisschen, bisschen. Hab schon Tante Minna gesagt.

HEINRICH: Deine Mutter haben wir verloren.

Schweigen.

MINNA: Warum steht ihr denn herum? Setzt euch, gleich bringe ich den Tee.

MUKAN: Ach, Tante Minna, ich kein Tee jetzt will. Ich lauf zu Galija-Apa. Ich will alles erzählen, sie soll keine Angst haben (Eilt zur Tür).

HEINRICH (fängt ihn ab): Wart mal, Edik.

MUKAN: Warum?

HEINRICH: Ich und Tante Minna gehen mit.

MUKAN (horcht auf): Wozu?... Ich geh von Galija-Apa nicht weg. Nein, nein, ihr braucht nicht kommen. Ich bleib bei Galija-Apa...

HEINRICH: Dummerjan! Wir gehen mit. Wir räumen eure Jurte weg.

MUKAN (verdutzt): Warum? Du jagst uns fort?

HEINRICH: Nicht doch! Du und deine Galija-Apa werdet nun in meinem Haus wohnen, in der Jurte ist’s für die alte Frau schon zu kalt.

MUKAN (starrt den Vater schweigend an): Und du, Bas... Papa?

HEINRICH: Ich ziehe zu Tante Minna über... Oder... Nein, mir genügt das Stübchen neben der Küche, wo ich wohne.

MINNA: Heinrich!

HEINRICH: Geht und helft der Alten die Sachen pakken. Ich komme dann mit dem Auto. Und noch etwas (zieht Geld aus der Westentasche, wirft es in die Tischlade). Morgen fahrt ihr in die Stadt und kauft ein, was ihr nötig habt. Vor allem schafft euch ordentliches Möbel an. Gut?

MUKAN: Ich auch viel Geld habe. Morgen fahren wir, ja Tante Minna?

MINNA (blickt Heinrich betrübt an): Heinrich, vielleicht bringen wir deine Sachen doch zu mir?

HEINRICH: Vorerst – nicht. Es bleibt, wie ich’s gesagt habe.

MUKAN: Komm, Tante Minna!

MINNA und MUKAN ab. HEINRICH schreitet erregt im Zimmer auf und ad. Licht aus.

VII.

Früher Morgen.

IWAN IWANOWITSCHS HOF. Links der Eingang ins Wohnhaus, rechts die Garage für ein Personenauto. Von ihr aus ein Staketenzaun mit Pforte auf die Strasse. Hinten schliessen Ställe und Schuppen den Hof.

Im Hofe stehen Ostbäume; Weinreben an Holzgerüsten überdecken stellenweise den Hof, ranken von den Dächern herab. In den Ställen gackern Hühner, schnattern Enten. Eine Kuh muht, zwei Schweine grunzen abwechselnd.

Mitten im Hof ein Tisch, einige Schemel und Stühle. Auf dem Tisch steht Obst, in einer Karaffe blinkt Wein. Hannes sitzt hemdärmelig am Tisch, schlägt mit dem Hammer Walnüsse auf und kaut gemütlich. Hin und wieder nimmt er einen Schluck Wein. KATHARINA kommt mit einer Schüssel in der Hand aus dem Haus und eilt in den Stall.

KATHARINA: Host gar kann Vrstand! Sitzt und sauft widr, statt mir bissche mitzuhelwe.

HANNES: Heute is Sunntag, ich hun Wichodnoj.

KATHARINA: Un ich – wann hun ich Wichodnoj?

HANNES: Die ganz Woch iwr.

KATHARINA: Ach du Nixnutz! Anre Männer helwe ihrene Weibsleit, un du...

HANNES: Anre Männer sin Schofskepp.

KATHARINA: Du host jo immr recht. (verschwindet im Stall, kommt zurück). Däste chotj dr Kuh ausmiste.

HANNES: Dere miste ich aus, nor net jetz. (Trinkt und ächzt).

KATHARINA (verschwindet im Haus und kommt mit zwei vollen Eimern zurück). Die Sei hun dr Trog vrknogt, den kennste ausbessern.

HANNES: Laft’s Futter raus? Net! Dr Trog werd noch aushale, bis mr die Sei schlachte, jej Bocha.

KATHARINA: Du bist ja faul, dasste stinkst!

HANNES (schlägt mit dem Hammer kräftig auf den Tisch): Anu, vorsichticher! Des geht schon iwr s Bohnelied.

KATHARINA: Is s net wohr?

HANNES: Un s Haus wer hot gebaut? Un die Ställ, un d Garasch? Un m Kolchos wer schafft? S runde Johr sin ich bei die Stroiteli, bei die Ernt helw ich ach ufm Girman, ufm Trockenplatz, den Baawoll drehe...

KATHARINA (giftig): Gel, do kannst schaffe, do brauchste kann Wichodnoj!

HANNES: Do hot kanr Wichodnoj, dr Chlopok muss doch groppt wern.

KATHARINA: Ich sat jo: du host immr recht. (Geht in den Stall). Zutz! Geh dich weger!... Zutz!! (kommt zurück). Häste liewr en neie Saustall gebaut statt den Garasch, do drenn kann mr sich net meh drehe. Was willste mit dem Garasch, e Maschi haste doch net.

HANNES: Hun ich kaa, war dr Grischa un s Malch kawe sich a.

KATHARINA: Hoste die richtige gtroffe! Host doch ghert, die wolle vor kaa Geld dohiere wohne.

HANNES: Die were sich schon bsinne. Dr Grischa hit nix dageje.

KATHARINA: Nuja, ufs Fertiche is der kann Durak. Du kaafst dem noch en Moskwitsch.

HANNES: Kaaf ich ach, jej Bocha!

KATHARINA: Plogt sich s runde Johr ab wie n Ischak un alles vor anre.

HANNES: Wos schwätzt du norl Is dr Grischa net dein Kind sein Mann? Och, du...

KATHARINA: S Malche lässt sich von dem dr Kopp net vrdrehe, die is Modiska un bleibt in die Stadt.

HANNES: Näherinne brauch mr ach do. Dr Grischa is n vrstännische Mann, der werd bei uns wohne. Dr Genrich Genrichowitsch hot gsat, bei uns kann mr ach Natschalnik sei. Er will n im Garasch astelle.

KATHARINA: Du Teiwl host jo immer recht. (Verschwindet im Haus und kommt mir dem Melkeimer zurück). Was sitzte dann rum? S Malje will heit noch fort. Is noch nix engepackt. (verschwindet im Stall).

HANNES regt sich nicht vom Fleck, er isst und trinkt weiter.

In der Haustür erscheint Malchen in einem langen buntscheckigen Hausrock. Ihr Kopf ist dicht mit Lockenwickeln besetzt.

MALE (reckt sich gemächlich auf der Freitreppe): Ach, kak prochladno! Wenn’s immer so wär, kennt mr do wohne.

HANNES: Schäm dr e bissche, Male. Die Mama left sich beinahe die Baa aus, un du schnarchst bis in dr Mittag nen.

MALE: Fi! Wer is eich schuld! Ihr kriet jo dr Rache net voll. Kuh, Hinkel, Sei – mne etogo wsego ne nado. (Verzieht die Nase). M ganze Hof stinkt’s jo – zum Kotze!

HANNES: Na, so was! S stinkt ere. Awr zwamol im Johr komme un sich die Tschemondane vollschlage – gel, do stinkt’s net?

MALE (tänzelt im Hofe herum): Bei eich geht’s doch vrlore. Die Mama sat, m Keller steht doch dreijährliches Schmalz, des kann mr net meh fresse. Die Suschki sin voller Wirmr, s Butterschmalz – ranzig. Dumajte, bes etogo ne oboidjomsja? Fi, in unsr Magazin – Herz, was begehrscht !

KATHARINA (kommt vom Melken): Malje, was tappste dann rum? S is Zeit zsammepacke. Was nemmste dann mit?

MALE: Schto wsegda.

KATHARINA: Dann geh un ram mol alles uf dr Tisch. Die Warenje steht im Keller ufm Bett, d Schwartemage hängt ufm Hake, dr Schunke leit ufm Tisch.

MALE: Ladno! (Trällernd ab).

Katharina bringt aus dem Haus einige Koffer. Dann hilft sie der Tochter Eingekochtes, Eingesalzenes und anderes herbeizuschleppen.

MALE (bringt einen geräucherten Schinken): Och, Grischa liebt Okorok, der werd sich radowatsja!

HANNES: Den kann er s runde Johr esse, jej Bocha. Kommt nor zu uns.

MALE: Njet! Mr hun so e schee Quartira, aach unsr Erwet gfallt uns.

HANNES: dr Grischa hot doch nix dageche, dass ehr bei uns wohne werd.

MALE: Ja jemu dam! (Lauft davon).

Immer mehr Nahrungsmittel, Obst, Weintrauben und Gemüse, konserviert und roh, häufen sich auf dem Tisch. Die Karaffe mit dem Wein und die Schüssel mit den Nüssen werden immer weiter gerückt und schließlich in die letzte Ecke des Tisches gedrängt. Hannes lässt sich jedoch seine Ruhe nicht nehmen, knackt Nüsse, isst und trinkt weiter.

KATHARINA: Helf enpacke, was sitzte dann wie e Paff!

HANNES: Des is Weibersach.

KATHARINA: Zum Totärchern! Immer hot r recht. (Packt mit der Tochter die Koffer, Körbchen und Beutel.)

MALE: Mam, wo mtm Riewlkuche hi?

KATHARINA: Do in des Tschemodanje. Weiter leg nix nen, sonst vrdrickste ehn.

MALE: Ladno.

KATHARINA: Hannes, hoste m Andrej gsat, wann r mit seim Maschinche komme soll?

HANNES: Net. Ich hun m Stass gsat, dass r mit seim Grusowik komme soll.

KATHARINA:Is ach besser. Mr täte des alles net ins Maschinche krieche. – Malche, die Semtschki geb doher.

MALE: Natje! (Hebt ein Glasgefäß mit Konfitüre hoch). M-m-m! Eto choroschaja Schtuka! Grischa liebt die Hutzelwarenje arich.

HANNES: Wie lasse die dich mit dem allem Wesen in dr Zug nen?

MALE: Ich hun an snakomij Prowodnik, for an Arbus un n Halwe kann ich dr halwe Waggon vollade.

KATHARINA: Geh, Malche, zich dich o, die Maschi kann jede Minut komme.

MALE: Totschno! (Ab ins Haus).

Katharina bindet die Beutel und Bäutelchen zu, schliesst die Koffer. Mit einem grossen Koffer plagt sie sich ab.

KATHARINA: Hannes, komm, helf mr doch!

HANNES: Gleich.

Er erhebt sich, geht zu seiner Frau und lässt sich mit dem Knie auf den Koffer fallen, dass es knackt und kracht.

KATHARINA: Sachte, du!... Vrdrickst die Weitrawl un Dulle.

HANNES: Werd ehne schon nix passieren.

Sie schließen unter Ächzen und zetern alle Koffer und stellen sie griffbereit neben dem Tisch hin.

Auf der Strasse surrt ein Auto. Vor der Pforte hupt es heftig.

HANNES: Di is dr Stass Popandopulo.

KATHARINA (ruft): Malche, die Maschi is do!

MALE (im Haus): Sitschas!

Male kommt angekleidet und gelockt aus dem Haus. Sie trägt einen Koffer und ihre Handtasche. Ohne sich umzublicken, eilt sie über den Hof zur Pforte.

Hannes und Katharina schleppen ächzend die Koffer und das andere Gepäck auf die Strasse zum Auto. Male gibt draußen Anweisungen, was wohin legen.

Der Abschied verläuft auch auf der Strasse.

Die Alten kommen zurück.

HANNES (setzt sich auf seinen Platz): Fu-u-u!

KATHARINA (setzt sich neben ihn, wischt sich die Augen aus): So, jetzert sin mr wiedr allenich gebliewe.

Beide schweigen lange.

HANNES: Nitschewo! Dem Grischa kaw ich en Moskwitsch, der wird bei uns wohne.

KATHARINA: Un s Malche?

HANNES : Ha, ob’s will odr net, des muss mit…

VIII.

Es ist Nacht. Vorraum des Arbeitszimmers des Kolchosvorsitzenden. Tisch mit Schreibmaschine und Telefon, rechts der Eingang zum Arbeitszimmer.

Links sitzt in der Ecke Guljam-Bobo auf einem Kleiderbündel und döst vor sich hin. Gena, eine Junge mit modischem Haarwust auf dem Kopf, tänzelt hinterm Tische nach der Melodie, die aus seinem Kofferradio dringt.

Das Telefon schrillt. Gena stellt die Musik leiser und nimmt den Hörer ab. Von draußen dringt deutlich das Rauschen eines starken Regens herein.

GENA (am Telefon): Ja!... Nein, Genosse Assilbajew ist nicht hier... Somow? Auch nicht... warum gleich fluchen, Djadja Kim? Weil Ihnen zu wohl ist?... Ha-a-ha-ha!

Assilbajew tritt ein. Er ist in Gummistiefeln und Regenmantel.

GENA (in den Hörer): Moment, Djadja Kim! Gleich übergebe ich den Hörer. – Genosse Assilbajew!

ASSILBAJEW (beachtet Gena nicht): Du sitzt immer noch hier, Guljam-Bobo?

GULJAM-BOBO: Meine Kibitka ist kaputt.

ASSILBAJEW: Meine Jurte steht auch unter Wasser, die Sachen liegen im Klub. Geh auch dorthin, Bobo, ruh dich aus.

GULJAM-BOBO: Nein, man wird mich vielleicht brauchen. Siehst doch, was sich draußen tut.

GENA: Genosse Assilbajew!

ASSILBAJEW: Was ist?

GENA: Djadja Kim sucht Sie.

ASSILBAJEW (am Telefon): Hallo!… Ich war doch eben bei euch... Was? Ein ganzer Bach?... wo kommt der her?... Aus der Quergasse?... Kim, dämmt ihn ab... Sofort! Das Wasser darf für keinen Fall höher als die Fundamente der Speicher steigen, sonst verweichen die Lehmsteine der Wände, und die Speicher stürzen ein. Verstanden?... Leute?... Wo nehme ich die her? Meinst, an anderen Stellen sind sie nicht nötig?... Na also! (Legt auf).

GULJAM-BOBO (erhebt sich): Der Kim weiß nicht, dass sich nebenan ein Sai zieht. Ich geh und zeig ihm, wie das Wasser in diese Bodensenke zu lenken ist.

ASSILBAJEW: Bleib sitzen, Ata. Die sollen allein fertigwerden.

GULJAM-BOBO: Nein, Bola, bei solchem Wetter darf man nicht sitzen. Der Boden ist noch gefroren, der letzte Schnee taut, und dazu schon den vierten Tag dieser warmen Regen. Das Wasser kann nirgends abfließen, die Steppe ist platt wie der Tisch. Es macht unsere Lehmhäuser alle kaputt.

ASSILBAJEW: Wir haben Pumpen stehen, die schaffen es in den Kanal.

GULJAM-BOBO: Wieviel geht da schon hinein? Alle pumpen, Wasser hinein. Der Kanal mündet doch (zeigt) so-o eng, der ist kein Fluss, der ist zum Berieseln da, nicht zum Wasserabführen.

ASSILBAJEW: Die Lage ist schwer, wer bestreitet es? Trotzdem geh und ruh dich aus, Alter.

GULJAM-BOBO: Rede nicht so, Assilbajew. Ich gehe ja doch nicht, jeder muss im Unglück helfen. (ab).

ASSILBAJEW: Wo ist Genrich Genrichowitsch?

GENA: Man hat von der Viehfarm angerufen. Die Giebelwand des Kälberstalls ist eingestürzt. Der Predsedatel ist gleich auf und davon.

Assilbajew ergreift seine Mütze, will hinaus. Heinrich kommt ihm entgegen.

ASSILBAJEW: Was ist mit dem Stall?

HEINRICH: Kniehoch Wasser drin. Die Wände haben Risse, eine Wand ist schon eingestürzt, das Dach hat sich gesenkt.

ASSILBAJEW: Und die Kälber?

HEINRICH: Haben wir ins Freie getrieben. Aber wohin mit ihnen? Die erkälten sich im Regen.

ASSILBAJEW: Wie wäre es... Zu den Pferden sollen sie sie treiben, der Stall steht noch am sichersten.

HEINRICH: Richtig! Und ich wollte sie den Leuten in die Ställe verteilen. (Eilt ans Telefon). Hall!... Michejewa?... Anna Petrowna, lasst die Kälber nicht so lange im Regen stehen... Nein, nein, belästigt die Leute nicht damit, die haben mit sich zu tun... Treibt sie in den Pferdestall. Bleibt bei ihnen im Gange stehen, damit sie nicht zu den Pferden gehen... Ja, ja, alle, alle Kälber.

Hannes tritt ein. Das Wasser trieft von ihm.

HANNES: War so e Uglick! So e Uglick!

HEINRICH: Was ist passiert, Iwan Iwanowitsch?

HANNES: Dr Teiwl hot alles gholt. Mei Haus un die Ställ sin im Eisterze.

HEINRICH: Wirklich? Ist’s ernst? Müsst ihr ausziehen?

HANNES: Mei Alti sitzt schon drausse im reche. Geb e Maschi, Predsedatel... Ja, un wo hi mit meim Wese!?

HEINRICH: In den Klub vorläufig. Da sitzen schon Schädle, Abdullin, Owsjanenko, Mirau und andere mit ihren Familien.

HANNES: Do kann mr jo vrickt wern! Mr hatte uns doch schon all so sche eingericht, jetz is alles vrlore.

ASSILBAJEW: Nur die Nase nicht hängen lassen, Iwan Iwanowitsch. Alles ist noch nicht verloren. Was zusammenfällt, bauen wir wieder auf. Und dabei schneller und besser – mit Ziegelsteinen. Wir sind doch jetzt reich.

HANNES: Do hot mr ka meh Lust dofor, jej Bocha!

HEINRICH: Warum gleich so kleinmütig sein? Du hast doch goldene Hände, Iwan Iwanowitsch.

HANNES: Mr is net meh jung? Genrich Genrichowitsch. S geht net meh so, wie’s gange is. Unser Tochter, die Sau, guckt sich ach net um nooch uns.

HEINRICH (ruft die Garage an): Hallo!... Hallo, Garage!... Logasch, wo ist Deitle?... Draussen?... Logasch, sag ihm, er soll einen Wagen zu den alten Habermehls schicken... Ja, ja, ihr Haus ist am Einstürzen... In den Klub, in den Klub... Wenn da kein Platz mehr ist – in die Schule.

HANNES: Ich dank aach, Predsedatel. So e Elend! Uf unser Gass’ is s bei uns, bei s Rempls un beim Abdurasakow am schlimmste.

ASSILBAJEW: Komm, Alter. Wollen nachsehen, was da zu machen ist.

Beide ab.

HEINRICH: Hat Somow noch nicht geklingelt?

GENA: Nein. Der hat’s weit bis zum Telefon. Soll ich ihn aufsuchen?

Im Nebenzimmer klingelt das Telefon.

HEINRICH: Wart mal... (Eilt in sein Arbeitszimmer). Hallo!... Ja, ich bin’s, Afanassi Grigorijewitsch... Nein, bis jetzt halten wir uns noch über Wasser, obwohl es schlimm genug ist. Der Kälberstall ist geborsten... Nein, wir haben sie gerettet... Einige Duwale und Wohnhäuser sind eingestürzt, andere in Gefahr... Gewiss, gewiss, vor allem sorgen wir uns um die Leute... Bei den Amangeldiern, sagen Sie? Also nicht nur bei uns ist der Teufel los... Dabke... Gut, gut, wenn wir Hilfe brauchen, rufe ich oder Assilbajew Sie an. (Kommt zurück). Gena, schau mal bei...

Das Telefon schrillt. Heinrich greift nach dem Hörer.

HEINRICH: Ja!... Nikolai, du?... Warum, zum Kuckuck, gibst du kein Lebenszeichen von dir?... Wa-as?!... Der Kanaldamm durchbrochen?... Schon an die sechs Meter?... Wo?... An der Brücke? Und?... Wer tut denn das?... Ich dachte wirklich, Somow, dass du gescheiter bist! Begreif doch, das Wasser reißt die Erde mit, die ihr hineinschaufelt! Was?... Ins eisige Wasser? Ihr seid verrückt! Das ist kein Aryk auf dem Felde, an dem man im Sommer die Bresche mit Menschenleibern verschließen kann, bis ein neuer Damm gebaut ist... Untersteht euch nicht!... Minna?..; Die Frauen lass überhaupt nicht in die Nähe, du hast genug Männer bei dir... Was tun?... Das Wasser muss gestoppt werden, sonst ist unser Dorf in ein, zwei Stunden verloren... Gleich komme ich und Assilbajew. (Legt auf). Gena, such den Partorg auf.

GENA: Wo ist der? Bei Iwan Iwanowitsch?

HEINRICH: Wenn nicht bei Habermehls, dann irgendwo in der Nähe bei den Leuten... Ja, Gena, du läufst da bei uns vorbei. Schau mal nach, wie unsere Apa fertig wird. Die ist allein zu Hause.

GENA: Wird gemacht, Genrich Genrichowitsch. (Ab).

HEINRICH (presst die Finger an die Schläfen, schreitet auf und ab. Dann nimmt er hastig den Hörer ab): Hallo! Anna Petrowna, ist Mukan auf der Farm?... Sagen Sie ihm, er soll sich sofort auf seinen Klapperhengst setzen... Die Futterwagen soll er abhaken... Ja, ja!... Er soll mit seinem Traktor sofort zur Reparaturwerkstatt fahren... Was ist los?.. Der Kanaldamm ist durchgebrochen, wir müssen die Bresche unverzüglich liquidieren, sonst... Nein, nein, Ihre Leute bleiben beim Vieh... Ja... (Legt auf und nimmt den Hörer wieder ab). Hallo, Reparaturwerkstatt!.. Hallo!.. Davidytsch, du?.. Ruf mal hurtig Bektaschew... Nicht da?.. Dann Dorsch... Auch nicht? Was, zum Donnerwetter! Ist denn ausser dem Wächter niemand mehr in der Werkstatt?.. Der Dreher? Viktor?.. Jetzt pass mal gut auf, Alter! Gleich kommt Mukan mit seinem Traktor. Unterm Obdach, am Zaun, stehen Kultivatoren... Ja, ja, von den reparierten. Ruf Viktor. Helft Mukan die Kultivatoren an den Traktor koppeln... Vier oder fünf... Sagt Mukan, dass er sie in aller Eile zur Brücke schaffen soll... was passiert ist?.. Der Damm ist kaputt... Keine Zeit, Davidytsch... Später, später. (Legt auf).

Eine Zeitlang ist nur das Rauschen des Regens zu hören. Ein Traktor rattert draußen vorbei. Heinrich hat die Hand auf dem Hörer liegen und sinnt nach.

HEINRICH (nimmt den Hörer ab): Wer ist am Telefon? Sonja? Sonja, ruf mal geschwind Kim. (Pause). Kim, ladet sofort einen Laster mit Reisig und Stroh und bringt es ohne Aufschub zur Brücke... Ja, am Kanal... Durchbruch... Ich lüge?.. Nein, niemand will dich schrecken. Kommt sofort mit einigen deiner Männer zu Hilfe... Wir versperren die Bresche mit Kultivatoren, werfen Reisig und Stroh dahinter, dann Erdreich... Anders zwingen wir das Wasser nicht... Kim, zögere nicht, die Lage ist verflucht ernst... Also – los! (Legt auf und rennt aus dem Zimmer).

Draußen rauscht der Regen. Wilde Windstösse fahren an die Fenster. Ein Auto hupt in der Ferne, ein Traktor rattert vorüber. Menschenstimmen.

Auf dem Tisch steht neben dem Telefon Genas Kofferradio. Leise Musik. Dann erklingen die Signale der Funkstation „Majak“. Der Ansager spricht nicht laut, die Stimme bleibt gleichsam im Hintergrund.

Gena kommt angehastet. Er schüttelt den Regen von sich, schaltet den Empfänger aus und telefoniert mit seinen Freunden.

GENA: Priwet, Wilka! Was treibst du im Moment?.. Den Lodyr treibst du? Ha-ha-ha!.. Wilka, ist’s bei euch auch nass ?.. Nein?.. Also sitzt ihr hoch... Hier quietscht und matscht es ringsum.. Nein, ich spreche nicht von zu Hause... Aus dem Kontor... Assilbajew hat mich ans Telefon gesetzt, die zweite Sintflut hat doch begonnen... Die sind alle fort... Am Kanal, da tut sich etwas.

‘„Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Flut und Flut sich ohn Ende drängt,
Und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
Als wollte... der Kanal noch einen Kanal gebären.“’

(Lacht)... Ja, ja, die letzte Zeile bei Schiller hab ich umgedichtet... Weiß ich, dass ich ein schlechter Poet bin. Radrennen gelingt mir besser... Genug! Ciao!

GENA (wieder am Hörer): Hallo, Babuschka!.. Rufen sie bitte Larissa ans Telefon... Wo? Draußen?.. Euer Hof steht auch voll Wasser?.. Babuschka, nur auf einen Augenblick soll Larissa kommen... Gut! (wartet)... Larissa, ich bin’s, Gena... Entschuldige! Ich bin allein – die beste Gelegenheit, mit dir einige Worte zu wechseln... Lara, sei doch nicht gleich böse... Lara... Lara!..

Gena drückt den Hörer auf und schaltet den Empfänger ein. Eine übermütige Beat-Musik füllt den Raum; Gena tänzelt dazu.

Assilbajew erscheint in der Tür. Er hastet mit großen Mühen zur Arbeitszimmertür. Assilbajew öffnet sie und wartet.

Somow erscheint mit dem Rücken in der Eingangstür. Er hält Minnas eingeknickte Beine umschlungen und kommt rückwärts auf die Bühne. Am Kopfende trägt Kim der Verunglückte. Ihnen folgen noch einige nasse matschbespritzte Männer und Frauen.

ASSILBAJEW (winkt mir der Hand): Hierher, hierher. Auf den Diwan legt sie. (Verschwindet im Nebenzimmer).

Kim und Somow tragen Minna in Heinrichs Arbeitszimmer. Einige Frauen folgen ihnen.

Gena erstarrt und vergisst, den Empfänger auszuschalten, und die Musik schmettert weiter. Kim kommt zurück gerannt und schaltet die Musik aus Stille.

KIM (herrscht an Gena): Idiot! Auch kein Krümelchen Verstand haben die Rotznasen.

GENA: Ich... Ich...

KIM: Du, du!.. Mach dich auf die Socken und rufe Genrich Genrichowitsch.

GENA: Wo finde ich den?

KIM: Der war zu den Getreidespeichern gelaufen, die krachen zusammen.

GENA: Soll ich sagen, dass Tante Minna..?

KIM: Eben. Du sollst’s ihm sagen.

GENA: Hopp! (Ab).

ASSILBAJEW (im Nebenzimmer am Telefon): ... Es geschah unerwartet, Afanassi Grigorijewitsch. Wir hatten die Barriere aus verankerten Kultivatoren schon in der Bresche stehen und stützten sie im strudelnden Wasser mit dem Schultern, bis der Raupenschlepper sich mit dem Kühler daran stemmen konnte. Da gelang es dem Strom die linke Flanke zurückzuschleudern... Nein, Afanassi Grigorijewitsch, wir ließen keine Frauen in die Nähe... Ja, die Berger... Sie kennen doch Minna... Als sie sah, dass die Mauer wankte, sprang sie trotz Verbot mit dem Männer ins Wasser... Nein, schwer verletzt ist nur sie... den anderen vier wird unsrer Ambulanz nach Möglichkeit Hilfe erwiesen. Aber die Berger müsste sofort in die Stadt... Sie kommen?... Mit Ärzten und Technik? Danke, Afanassi Grigorijewitsch... Danke, danke... Wir werden warten.

KIM: Ich geh. An den Speichern ist der Teufel los. Karabai, Begai, Iwan Sergejewitsch – kommt (Sie treten ab).

Assilbajew kommt ins Vorzimmer.

ASSILBAJEW: Nikolai, gehr zu deinen Leuten. Lasst den neuen Damm nicht aus den Augen.

SOMOW (steht auf): Wir werfen immer noch Erdreich drauf.

ASSILBAJEW: Richtig. Vorsicht ist immer besser als Nachsicht. Und noch eins: Schicke bitte einige Mann mit Fackeln den Kanal entlang, möglich, dass uns noch Irgendwo Gefahr droht.

SOMOW: Wird gemacht, Assilbajewitsch. (Mit den anderen Kolchosbauern ab).

Assilbajewitsch wieder ins Nebenzimmer zum Telefon.

Halbdunkel. Heinrich von draußen herein.

HEINRICH (blickt sich suchend im Zimmer um, sieht Minna auf dem Sofa, zuckt zusammen, eilt auf sie zu). Minna ! (Setzt sich auf den Sofarand, ergreift ihre Hand, leise, eindringlich): Minna, liebster Mensch auf der Welt, sei tapfer jetzt, wie du immer warst, halt durch! Gleich, gleich kommt Hilfe aus der Stadt. Hörst du mich, Minna? Du darfst uns nicht verlassen. Du weißt ja gar nicht, wie lieb wir dich haben, wie lieb ich dich hab! Ich war wie mit Blindheit geschlagen, jetzt ist die Binde weg von den Augen (Beugt sich über sie, streichelt ihr die Stirn. Die Bewusstlose macht eine leise, aber deutlich wahrnehmbare Bewegung mit der Hand).

IX.

Dunkle Bühne.

Im Hintergrund erschient ein auf die Leinwand projiziertes Bild nach dem anderen: Trüber Himmel. Regen. Entlaubte Bäume. Baumwollfelder, die von Pfützen oder Salzflecken bedeckt sind.

Bildnisse der Handelnden Personen in ihrer Arbeitstracht: ASSILBAKEW, HEINRICH, MINNA, SOMOW, KIM, GULJAM-BOBO, MUKAN, HANNES.

Arbeitsszenen, an denen sie beteiligt sind. Grüne Baumwollfelder. Blühende Obstgarten usw.

Leise Musik.

Die Bilder können durch einen entsprechenden Filmstreifen ersetzt werden.

SPRECHER (Stimme im Raum):

Die heimtückischen

Naturgewalten

hatten zugeschlagen.

Die Menschen wohnten wieder

in Zelten,

in Jurten,

unter freiem Himmel.

Das Grundwasser

war gestiegen.

Mit ihm

das zehrende,

verheerende

Salz

Es zermürbte

Fundamente und Wände,

nagte

an den Wurzeln der Bäume,

fletschte die Zähne

auf dem Acker.

Alle Mühen

schienen vergebens,

tot lag wieder die Steppe

und grinste

in ihrer Überlegenheit.

Doch

hatte sie vergessen,

dass sie es mit Menschen zu tun hat,

die eine Niederlage nur stärkt.

Feixe nur, Hexel

Fletsche die Zähne,

häufe die Unbilden

und Tücken.

Du sollst noch erfahren,

wie scharf unser Mut ist,

wie tatkräftig unser Wille wird,

wie selbstlos wir sein können,

wenn wir uns ein Ziel

gesteckt haben

und auf Widerstand stoßen.

Nein,

aus Stahl sind sie nicht,

die Ersten,

die Menschen,

die sich der Wüste

widersetzen.

Sie kennen Schwächen

Und Verzweiflung,

sind

der Liebe,

den Leiden,

der Freunde

verschieben wir alle.

Ein Heimatland

haben sie,

das sie zur Heldentat

ausgesandt hat.

Einem Völkerbund gehören sie an,

der sie nie im Stich lässt.

Sie wichen

keinen Schritt zurück,

die Ersten.

Das Ringen mit dem Ödlande

Begann von neuem.

Bohrer wühlten sich in die Tiefe

Zu den Becken

des heimtückischen Salzwassers.

Tausende Pumpen

saugten es empor

und schleuderten es in die Sandwüste.

Betonrinnen umspannten die Felder,

damit kein Tröpflein Wasser

verlorengehe.

Die Ackerkrume

Wurde förmlich gewachsen,

sie wurde reichlich

mit Düngern gestärkt

von schwieligen Händen

gepflegt und gehegt.

Und sieh!

auf den Feldern erwachte wieder

der grüne hauch

des Lebens.

Wieder

hüllte üppiges Grün

Wohnhäuser,

Kulturstätten,

Schulen,

Kindergärten

in schützenden Schatten.

Baumwolle

bedeckte schwanenweiss

die Felder.

Doppelte

dreifache

Ernteerträge

Erfreuten die Menschen.

Ruhm und Ehre

den Ersten!

Sie gingen voraus

Und

Haben gesiegt.

X.

Ein sonniger Frühlingstag. Grünanlage um das Kulturhaus des Kolchos.

Links, mehr im Vordergrund, das von Grün umhüllte Grab des Unbekannten; durch das Gitter der Umzäunung ist der Felsblock des Grabmals zu sehen. Neben dem Grab, näher der Rampe zu, steht unter weitausholenden Baumkronen eine Gartenbank.

Zwischen Bäumen und Blumenbeeten führen Fußwege in den Hintergrund. Rechts – Standbilder, die im Grün am Weg zum Klubeingang stehen. In der Ferne – in Gruppen und paarweise, festlich gekleidete Kolchosbauern. Im Vordergrund geht eine einsame Frau wartend auf und ab: HULDA.

HEINRICHS STIMME (im Lautsprecher): ... und nun, da ringsum alles grünt und blüht, da uns die Hungersteppe Tausende Tonnen Baumwolle, Obst und Gemüse gibt und das Leben sprudelt wie ein frischer Quell, verlässt uns dieser Mann. Ihr wisst, wie uneigennützig und selbstlos er ist. Während wir alle wieder in schönen Häusern wohnen, haust er noch immer in seiner alten Jurte. Keinen garten und kein Vieh, kein teures Möbel und kein Auto hat er. Er lebt wie ein Soldat, der weiß, dass der Kampf noch nicht beendet ist. Noch Tausende Hektar fruchtbaren Landes warten in der Hungersteppe auf Ansiedler. Die Partei schickt Assilbajew und andere erprobte Kämpfer in die Wüste, um den Menschen in der ersten schweren Zeit Beistand zu leisten. Morgen früh verlässt uns unser Assilbajitsch, deshalb verabschieden wir uns heute und danken ihm für all das Gute, das er uns getan hat.

Beifall. Zurufe des Abschieds.

Musik setzt ein. Bruchstücke russischer, deutscher, kasachischer Volksweisen.

Nach einer Weile erscheinen Menschen. Sie gehen nach Hause oder schlendern durch die Grünanlage.

HULDA verschwindet.

HEINRICH, SOMOW und ASSILBAJEW kommen. Sie sprechen miteinander und bleiben am Grab des Unbekannten stehen.

ASSILBAJEW: Das war aber wirklich zu viel des Guten.

HEINRICH: Ach, Assilbajitsch, uns fällt der Abschied schwer. So viele Jahre miteinander gearbeitet. Leid und Freud geteilt, und nun, da alles im Gang ist...

ASSILBAJEW: Schrei nicht gleich hurra. Niemand weiß, das die Hungersteppe noch in Reserve hält. Was wir vor einigen Jahren erlebt haben, war sogar für unsere Aksakale unerwartet. An soviel Schnee und Regen können sie sich nicht erinnern.

SOMOW: Trotzdem, trotzdem (Nicht zum Grab des Unbekannten hin), so hilflos wie dieser war, sind wir nicht mehr.

HEINRICH (leist die Inschrift auf dem Grabmal): „Das soll dir nie wieder gelingen, Hexe!“ Fein hast du dir das damals ausgedacht, Assilbajitsch!

ASSILBAJEW: Bisschen naiv, aber es geschah zur Aufmunterung.

SOMOW: Die Lage war wirklich verteufelt schwer. Wisst ihr noch, wie wir hier auf kahler Erde lagerten? Und dann unsere Opfer, Rachmankul, Menschikowa, Wassja, der Harder. Auch unser kluger Guljam-Bobo ist nun gestorben.

ASSILBAJEW: Aller Anfang ist schwer – so sagt man im Deutschen doch auch? Die Schwierigkeiten sind jedoch immer zu überwinden, wenn man den Leuten vertaut. Das Volk schafft Wunder, wenn es mal von der Notwendigkeit der Sache überzeugt ist.

HEINRICH: Das ist wahr, das haben wir erlebt.

ASSILBAJEW: Nikolai, du trittst nun meine Pflichten an, merke dir dieses Prinzip unserer Arbeit. Solange du mit dem Volk verbunden bist, bist du stark wie Anthäus! Du weißt ja, der verlor seine Kraft...

SOMOW: ... als ihn Herkules von der Erde losgerissen hatte. Ich hab mir schon manches bei Ihnen abgeguckt, Assilbajitsch. (Lacht). Außerdem hat Afanassi Grogorijewitsch über mich, versteht ihr! Aber die Vormundschaft ist wirklich nötig, bin doch nicht von gestern.

SCHWEIZER und seine Frau OLGA treten hinzu.

SCHWEIZER: Genosse Assilbajew, ich und Olga wollten Ihnen zum Abschied unbedingt die Hand drücken. Man sagt, Sie fahren morgen in aller Früh, ich aber muss noch heute abend aufs Feld.

ASSILBAJEW: Stimmt. Bevor die Hitze beginnt, möchte ich an Ort und Stelle sein.

SCHWEIZER (reicht ihm die Hand); Na, nichts für ungut. Auf Wiedersehen, lieber Assilbajitsch!

OLGA: Dass wir uns damals davonmachten vor den Schwierigkeiten...

ASSILBAJEW: Schwamm drüber! Wer macht keine Dummheiten im Leben? (Drückt ihr die Hand). Auf Wiedersehen.

HEINRICH: Olga, wenn ihr bei uns vorbeikommt, sag bitte der Minna, ich komme bald.

OLGA: Aber gern! Wollt mir schon lange euer baby angucken.

SCHWEIZER und OLGA ab.

SOMOW: Ein tüchtiger Mechanisator, der Schweizer.

HEINRICH: Bisschen hitzig ist er und – ehrgeizig, oi-oi! Den ersten Platz will er niemandem abtreten.

SOMOW (lacht): Mukan und Sawitski sind ihm immer auf den Fersen, aber Schweizer beisst sich lieber das kleine Fingerchen ab – vor lässt der die nicht.

ASSILBAJEW: Ein gesunder Ehrgeiz ist das.

HANNES, KATHARINA, GRISCHA und MALE nähern sich in lebhaftem Gespräch. MALE fuhrt ihr dreijähriges Mädchen an der Hand.

HANNES: Noch amo! – strastje, Natschalstwo! Mei Ahängse! Do hot mich un die Mama in dr Klub gschleppt. Unsr Partorg, hun se gsat, fährt fort, mr misse Abschied nehme. S is werklich schad, Assilbajitsch, dass mr uns trenne misse, jej Bocha!

ASSILBAJEW: Mir fällt’s auch schwer, fürwahr! Ist leider nichts zu machen.

HEINRICH: Iwan Iwanowitsch, Assilbajitsch fährt nicht ins Schlaraffenland.

GRISCHA: Wir wissen’s ja. Er wird uns fehlen.

SOMOW: Das sagst du, Grischa, und bist doch noch nicht lange bei uns! Und wir? Wir...

ASSILBAJEW: Stopp: Bügeln wir das Thema mal vom Tisch! Jeder lebt dort, wo er will; kann oder muss. Hauptsache: Wir liefern Baumwolle, das ist es, was das Land von uns erwartet. Ich hoffe, Leute, dass ihr das nicht vergesst.

HEINRICH: Deshalb leben wir ja hier. (Nimmt die Kleine auf den Arm). Na, Püppchen, du wirst ja immer schöner.

MALE: Die will immer, dass ich ehre ach an, wie sie sat, „Begutj“ in die Hoor neikrutije soll.

HEINRICH (küsst das Mädchen und lacht): Die wird auch mal so stolz sein wie ihre Mama. Unser Karlusch, dem Mukan sein Erster, spricht ein Kauderwelsch – zum Kaputtlachen. Die Mutter und Minna sprechen mit ihm deutsch, Mukan lehrt ihn kasachisch, ich russisch. Da hört man von ihm: „Ata, gib Chleb“ oder „Sut bersch, Milch dai“, „Apa, Moloka!“

Alle lachen.

HANNES: Wot schto, Natschalstwo! Macht eich zsamme un kommt heut owend bei mich.

KATHARINA: Ja, kommt nor, mr lade eich en.

ASSILBAJEW: Ach, gute Leute, ich bin heute fast den ganzen Tag am Tisch gesessen. Wer mir begegnet, lockt mich zu einem Gläschen Wein nach Hause. Und du, Iwan Iwanowitsch, hast ja sechs Sorten Wein im Keller liegen. Und eine Sorte besser als die andere, ich weiß es doch. Du machst uns besoffen.

HANNES (lacht): Net doch! Nor von jedem Fass a Glas.

ASSILBAJEW: Siehst du!

GRISCHA: Das wäre interessant, Assilbajitsch mal betrunken zu sehen.

HEINRICH: Erlebst du nie, Grischa.

ASSILBAJEW: Gut, wir gucken auf paar Minuten bei euch rein. Seid ihr mit einig, Genossen?

HEINRICH: Na, wenn Iwan Iwanowitsch schon bittet...

SOMOW: Ich lass es mir nie zweimal sagen. Das ist bei uns doch schon Sitte: Wenn einer den anderen einlädt, muss man folgen.

HANNES: Dann gehen mr. Kommt! Poka!

HANNES und sein „Anhängsel“ gehen.

SOMOW: Für mich ist’s ebenfalls Zeit. Klawa wartet sicher schon zu Hause auf mich, wir wollen heute noch zur Schwiegermutter gehen. Assilbajitsch, morgen früh sehen wir uns noch einmal. (Ab).

HEINRICH (setzt sich auf die Bank): Setzt dich.

ASSILBAJEW: Leider muss ich auch nach Hause, Genrich. Maine Mardsha ist mit dem Einpacken noch nicht fertig, ich will ihr helfen. Entschuldige!

HEINRICH: Na dann... Das Auto schicke ich zur rechten Zeit.

ASSILBAJEW: Abgemacht (Eilt davon).

HEINRICH hat die Ellbogen auf die Knie gestützt und blickt gedankenversunken zu Boden. Die Melodie des deutschen Volksliedes „Herz, mein Herz, warum bist du so traurig“ schwebt in der Luft.

HULDA kommt und bleibt schüchtern vor ihm stehen. Er merkt sie nicht.

HULDA: Guten Tag, Heinrich.

HEINRICH (blickt auf und schweigt lange): Du?

HULDA: hab ich mich so verändert, dass du mich nicht mehr erkennst?

HEINRICH: Was treibst du hier?

HULDA (setzt sich. Traurig): Ich wollte nur... Ich... Ich kann nicht mehr weiter... Seit dem Tode unserer Kleinen... Ich bin so einsam und allein...

Schweigen.

HEINRICH: Damit musst du jetzt fertig werden.

HULDA ( schluchzt ): Dumm war ich – o Gott, wie dumm! Lemmert, der Schuft hatte mir den Kopf verdreht, und ich...

HEINRICH: War ja gar kein Lemmert. Jakob Kerchert heißt der. Den suchte man schon lange und nicht bloß wegen Gaunereien. Er diente in der faschistischen Polizei, hat schwere Verbrechen auf dem Gewissen.

HULDA: Du lieber Gott! Und ich... Gott, ich wusste das doch nicht... Hab mir das ganze Leben verhunzt.

Schweigen.

HEINRICH: Arbeitest du?

HULDA: Ja... Nein, gegenwärtig nicht. Hatte mich nach Marienchens Tode mit den Alten verzankt. Die leben unehrlich, hamstern wie und wo sie nur können. Vater kriegt nicht genug, immer treibt er etwas auf und verschachert es. Nachdem du weggeblieben warst, begann ich über manches ernster nachzudenken. Dann starb das Kind... Ich verliest die Eltern, arbeitete auf der Post; dann im Zeitungskiosk. Ich war auch schon Näherin, Reinemachefrau, Verkäuferin...

HEINRICH: Hmja-a!

HULDA: Nirgends finde ich Ruhe. Die Schuld ist zu groß.

HEINRICH (steht auf, geht einige Schritte auf und ab): Wärst du damals geblieben, aber du brauchtest ja menschliche Verhältnisse.

HULDA: Heinrich...

HEINRICH (setzt sich): Siehst du, wir warteten nicht, bis sie uns jemand geschaffen hat. Wir krempelten die Ärmel hoch und...

HULDA: Du quälst mich, Heinrich. (Weint).

HEINRICH: Es war nicht bös gemeint.

Schweigen.

HULDA: Verzeih mir, Heinrich.

HEINRICH (schweigt lange): Verzeihen? Siehst du, ich bin längst über das alles weg. Wir haben hier so viel erlebt und durchgestanden... Wenn du Lust hast, richte dich bei uns ein.

HULDA: Im Kolchos?

HEINRICH: Ja.

HULDA (steht auf): Gern... Aber wohnen – wo soll och wohnen?

HEINRICH: Wohnen? Hm... Minnas Haus steht eigentlich leer. Und sie wird sicher nichts dagegen haben.

HULDA: Minna...

HEINRICH: Ja – Minna! Na, und unser Mukan baut sich jetzt sowieso was Größeres.

HULDA: Mukan?

HEINRICH: Ach freilich, dass weißt du ja auch noch nicht! Man wird’s dir sehr bald haargenau erzählen... Übrigens, die Menschen hier sind keine Engelchen. Und nach allem, was wir hier durchgemacht haben und aufgebaut... hast du nicht angst vor hämischen Blicken und Sticheleien in der ersten Zeit.

HULDA: Ich muss es hat durchstehen. Ich muss!

HEINRICH: Aber – bei uns wird gearbeitet.

HULDA: Ich weiss es, Heinrich. Ich werde euch nicht zur Last werden, glaub mir, Heinrich. Auf Wiedersehen! (Eilt hastig davon).

HEINRICH blickt ihr lange und versonnen nach. Die Musik klingt leise aus.

Ende.