1.1.4. Der klassische Lehrsatz ist an eine bestimmte Wirtschaftsordnung gebunden

Drittens setzt das Say'sche Theorem eine bestimmte Wirtschaftsordnung voraus. Damit jede Investition über die Schaffung von mehr Konsum unmittelbar einen Absatz findet, stellt das Say'sche Theorem implizite Bedingungen für das Lohn- und Angebotsverhalten.

Geht man von einer langfristigen Gleichgewichtssituation aus, in der sich Angebot und Nachfrage für eine bestimmte Gütermenge zu einem bestimmten Preis treffen: Die angebotene respektive nachgefragte Menge ist eine steigende bzw. fallende Funktion des Preises. Die Steigung der Angebotskurve wird durch die Grenzkosten der Produktion bestimmt. Die Form der Nachfragekurve gibt Aufschluss über die Preiselastizität der Nachfrage unter konstanten Einkommensbeschränkungen. Erweitert nun eine Investition den ganzen existierenden Produktionsapparat dergestalt, dass dessen Produktivität sinkt, dann erhöht das zusätzliche Angebot das Preisniveau. Dabei kann die mehr angebotene Menge jedoch nur abgesetzt werden und zum höheren Gleichgewicht führen, wenn sich die Nachfragekurve in Proportion zur Preiserhöhung nach rechts verschiebt. Dies vermag allein eine Lohnsteigerung zu bewirken. Bedingung ist aber ferner, dass die Preiselastizität der Löhne eins beträgt – eine der Realität ferne Annahme. Ersetzt in einem anderen Szenario die Investition existierendes Kapital, um an Produktivität zu gewinnen, nehmen die Stückkosten ab. Dieselbe Menge kann zu einem geringeren Preis angeboten werden. Die Angebotskurve verschiebt sich nach links. Ein höheres Gleichgewicht bei niedrigerem Preis wird erreicht. Voraussetzung bildet allerdings, dass die Preise proportional zu den Stückkosten sinken, was an die Existenz eines atomistischen Angebots gebunden ist.

Das Say'sche Theorem gilt demzufolge lediglich im Rahmen einer „freien kapitalistischen Wirtschaft“ im Sinne Stackelbergs. 397 Falls diese spezifische Wirtschaftsordnung, charakterisiert durch freie Konkurrenz auf beiden Marktseiten, nicht verwirklicht ist, mag die Koordinierung von Angebot und Nachfrage zögerlich vonstatten gehen. Da die historisch konkretisierten Wirtschaftsordnungen bis dato immer von dieser theoretischen Form abwichen, verliert das Say'sche Theorem erheblich an Glaubwürdigkeit, um die Unmöglichkeit genereller und dauerhafter Krisen zu belegen.

Notes
397.

Stackelberg [1934: 3-11].