1.2.5. Dynamische Theorie

Die evolutionäre Lehre des Österreichers Joseph A. Schumpeter nimmt unter den verschiedenen Krisentheorien einen besonderen Platz ein. Sie begründet Konjunkturbewegungen des kapitalistischen Systems gleichzeitig aus der Wirtschaftsordnung sowie aus dem Wirtschaftsprozess heraus und betrachtet sowohl reale wie monetäre Variablen.

Nach Auffassung Schumpeters besitzt der kapitalistische Wirtschaftsprozess evolutionären Charakter. Er ist eingebettet in eine Sozial- und Naturordnung, die sich konstant in Bewegung befindet, und deren Transformationen eine Andersverwendung von Produktionsfaktoren bedingen. Letzteres führt zu neuen Produktions- und Transportmethoden, neuen Märkten oder industriellen Organisationen sowie neuen Konsumgütern. Solche Innovationen im Sinne Schumpeters ändern von innen heraus kontinuierlich die Wirtschaftsstrukturen, zerstören ihre veralteten Elemente und führen gleichzeitig neue ein. Diesen Prozess kennzeichnet Schumpeter als „schöpferische Zerstörung“. 422

Motor der schöpferischen Zerstörung ist der „dynamische Unternehmer.“ Per seiner Natur sucht er ständig nach übermäßigen Profitquellen, die er durch das Lancieren von Innovationen ausschöpfen kann. Um sich zu finanzieren, braucht der Unternehmer aber den Kredit. Damit sind alle Komponenten der Schumpeter'schen Konjunkturtheorie vorhanden: Der Wirtschaftsprozess kommt in Schwung, wenn neue Kombinationen von Produktionsfaktoren ausprobiert werden, und er erleidet automatisch eine Störung, wenn das Kreditvolumen zur Schuldentilgung reduziert wird. Außerdem mag Überproduktion die Krise verschärfen. 423

Die schöpferische Zerstörung macht es der kapitalistischen Wirtschaft unmöglich, zu einem Gleichgewicht zu gelangen. Darüber hinaus entfernt sich der Kapitalismus durch diesen Prozess von einer Form der vollständigen Konkurrenz, die als einzige ein Gleichgewicht gewährleistet. Innovationen verschaffen den Unternehmern ein temporäres Monopol, das die Konzentration der Wirtschaft vorantreibt. Große Unternehmen setzten sich durch. Mit ihnen wird die Unternehmerfunktion verbürokratisiert und die schöpferische Zerstörung verlangsamt. Im Zuge des gesellschaftlichen Ausbaus versiegen die Innovationsquellen. Schumpeter geht wie Ricardo von einer nachlassenden Dynamik der kapitalistischen Wirtschaft aus. Er prophezeit allerdings gleichzeitig das Ende des Kapitalismus und verkündet den konjunkturunempfindlichen Sozialismus als dessen mutmaßlichen Nachkommen. 424

Notes
422.

Schumpeter [1951: Kap. 7].

423.

Müller [1990: 39-41].

424.

Schumpeter [1951: Kap. 10, 12 und 14].