1.3. Deutsche konjunkturtheoretische Ansätze im Umfeld der historischen Schule

Die Wirtschaftskrise beschäftigte in Deutschland unzählige Ökonomen, Gewerkschafter und Politiker sowie diverse Intellektuelle. Sie alle sorgten für eine lebhafte Debatte, die die verschiedensten Argumentationen beinhaltete und miteinander konfrontierte. Diese Vielfalt soll hier nicht zur Darstellung kommen. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die Konjunkturtheorie bzw. -politik, die im Rahmen der historischen Schule entstand, sowie auf diejenigen Ansätze, die sich zu ihr positionierten. Unter dem ersten Aspekt ist hauptsächlich Arthur Spiethoffs Theorie zu nennen. Ihr sollen die entsprechenden Denkmuster von Wilhelm Röpke und Alfred Müller-Armack gegenübergestellt werden.

Relativ zur Dauer ihres Aufbauprozesses wandte sich die historische Schule der Krisen- und Konjunkturtheorie verhältnismäßig spät zu. Bis sie eine Krisenlehre hervorbrachte, musste man die dritte Periode der historischen Schule, den Neohistorismus, also bis zu den ersten Dekaden des zwanzigsten Jahrhunderts abwarten, wohingegen Juglar die Bahn schon 1862 gebrochen hatte.

Relativ zur konjunkturellen Not, die Deutschlands Wirtschaft traf, erfolgte die Zuwendung aber früh: Unmittelbar nach der Hyperinflation legte Arthur Spiethoff seine empirische sowie theoretische Analyse der „Krisen“ im Grundsatzwerk Handwörterbuch der Staatswissenschaften nieder. 429 Mit diesem langen Artikel, den er 1955 in seinem Buch „Die wirtschaftlichen Wechsellagen“ vollendete, gehört er zu den Gründern der induktiv-theoretischen Konjunkturlehre. 430 Die Veröffentlichung einer Festschrift zum 60. Geburtstag Spiethoffs im Jahr 1933 über den Stand und die nächste Zukunft der Konjunkturforschung mit Beiträgen aller großen Konjunkturtheoretiker sagt viel über seinen Einfluss aus. Im Vorwort der Jubiläumspublikation schreibt Joseph Schumpeter zu Spiethoffs Errungenschaft: „Dieser Erbe der deutschen historischen Schule hat sich seinen eigenen Typus von Theorie erobert und treulich bewahrte Tradition mit dieser zu etwas Eigenem, Neuem, Echten vereinigt“. 431 Dank Arthur Spiethoff zeigte sich die historische Schule mit ihrer Behandlung dringlicher Konjunkturfragen Mitte der zwanziger Jahre nach wie vor als eine der fortschrittlichsten Lehren der deutschen Nationalökonomie.

Es war auch kein Zufall, dass speziell die Krisen- und Konjunkturforschung in Deutschland innerhalb der neohistorischen Schule einen besonderen Schub erlebte. Ein Resultat des ersten Methodenstreits bestand gerade darin aufzuzeigen, wie begrenzt die empirische Methode Schmollers für sich allein genommen war, und als wie blind sich die exakte Richtung Mengers erweisen konnte. Müller-Armack erschien Konjunkturforschung eben nur möglich, wenn man die Grenze zwischen beiden Methoden zu überwinden vermochte: „Die Denkinstrumente der Theorie werden ganz besonders hier aus der direkten Anschauung heraus geformt, die Resultate der Tatsachenforschung gehen in den Fundus apriorischer Schemata ein, die nun andererseits zu weiteren Tatsachenerkenntnissen dienen“. 432 Dieses methodologische Grenzenüberspringen erklärte Spiethoff zum Ziel seiner Theorie.

Vier Jahre nachdem Spiethoff seine Krisentheorie vorgelegt hatte, setzte der Börsensturz an der Wall Street das Signal für die Weltwirtschaftskrise. Im selben Jahr lieferte Alfred Müller-Armack eine Standortdefinition der „Konjunkturforschung und Konjunkturpolitik“ in Deutschland. Hierbei bemerkte er, dass was früher einem „Restgebiet der ökonomischen Theorie“ entsprochen habe, nun zur fundamentalen Frage der Nationalökonomie geworden sei. Die vor der wirtschaftlichen Notlage angestellten akademischen Überlegungen wurden von den Tatsachen überrollt. Doch das gesteigerte Interesse für die Krisen- und Konjunkturtheorie während der späten zwanziger bzw. frühen dreißiger Jahre entsprang nicht ausschließlich dem Einfluss von Währungs- und Wirtschaftskrisen. Für Müller-Armack resultierte es auch aus dem Wechsel in der wissenschaftlichen Position der Nationalökonomen unter Einbeziehung der Dynamik, wie sie sich z.B. in Schumpeters Theorie ausdrückte. Jedoch musste Müller-Armack seine Standortbestimmung mit dem Eingestehen eines Scheiterns beginnen: Das wachsende Interesse an der Konjunkturlehre habe deren Mängel der ersten Stunde nach wie vor nicht beseitigt. 433

Notes
429.

Spiethoff [1925: 8-91].

430.

Müller-Armack [1929: 646].

431.

Schumpeter [1933: V].

432.

Müller-Armack [1929: 649].

433.

Ebd. 645-646.