1.3.2. Definition der Krise

1.3.2.1. Die Krise als Kreditkrise

Egal in welcher Erscheinungsform sie ausbricht – „jede Krise ist eine Kreditkrise“, schreibt Spiethoff bündig. 454 Als Bedingungen, dass monetärerseits eine Krise ausgelöst wird, nennt Müller-Armack Störungen der Geldverfassung und der Kreditorganisation sowie die Kreditpolitik von Geschäftsbanken. 455 Obwohl Röpke an der Kreditausweitung als einziger Ursache zweifelt, erklärt er sich einverstanden, „dass sie in unserer Wirtschaftsordnung diejenige Form ist, in der sich regelmäßig die Sprengung des volkswirtschaftlichen Gleichgewichts vollzieht“. 456

Unter Kreditkrise versteht Arthur Spiethoff einen Missbrauch des Kapitalmarktes, der zu verschlechterter Kreditdeckung führt. 457 Im Auslaufen des Aufschwungs, mit dem Fortschreiten des Investitionsprozesses sinkt das verfügbare Kapital – das während der Depression angesammelt wurde – und mit ihm die Kreditbereitschaft der Banken. Es mangelt an Kapital entweder laut Spiethoff, weil dessen Angebot zu Ende geht, oder Röpke zufolge, weil die Kapitalnachfrage – i.e. das Bedürfnis der Wirtschaft nach Investitionen – nicht austrocknet. 458 Auf jeden Fall spitze sich die Lage am Kapitalmarkt zu einer Krise zu, wenn der Kreditzufluss, der die Wirtschaft in Aufschwung versetzt habe, nicht mehr in ausreichendem Maße aufrechterhalten werden könne. Mit sinkenden Investitionsrenditen verstopften weitere Finanzierungsquellen nicht nur an den Börsen sondern auch bei Banken: „Da es den Industrieunternehmungen, die sich für die Erweiterungsbauten der Aufschwungperiode an die Banken verschuldet haben, jetzt nicht mehr möglich ist, diese Schulden durch Emission von neuen Aktien oder Obligationen abzulösen und damit zu „konsolidieren“, machen nunmehr die Banken die unangenehme Entdeckung, dass ein großer Teil ihrer ausgeliehenen Kredite „einfriert“, d.h. für geraume Zeit uneinbringlich ist und auf den entsprechenden Konten keine Umsätze mehr hervorruft. Die Banken werden ängstlich und schränken ihre Kreditbereitschaft noch weiter ein, was im Endergebnis die Situation noch weiter zuspitzt“. 459

Die Krise am Kapitalmarkt breitet sich auf die reale Wirtschaft aus. Wegen der Krediteinschränkung werden angefangene Investitionsprojekte nicht zu Ende gebracht, was neu gegründeten Unternehmen besonderen Schaden zufügt und für bereits etablierte Unternehmen das Geschäftsfeld einengen kann. Im Klartext spricht Röpke vom möglichen Rückgang der Produktion, begleitet von Deflation, die der Überproduktion folgen.

Charakteristisch ist auch, dass durch die Einschränkung der Kreditvergabe psychologische Grundlagen des Wirtschaftsgeschehens zusammenbrechen. 460 Das geschwundene Vertrauen der Wirtschaftsagenten drückt sich in ihrer Konsum- und Investitionsbereitschaft aus. Es führt über diese Schiene zur erhöhten Präferenz für die Liquidität. Eine „allgemeine Jagd nach Bargeld“ beginnt. 461 Geld in Edelmetallform fließt ins Ausland. 462 Die inländische Währung wertet sich ab.

Notes
454.

Spiethoff [1925: 26].

455.

Müller-Armack [1929: 658].

456.

Röpke [1932: 87].

457.

Spiethoff [1925: 29].

458.

Röpke [1932: 78].

459.

Ebd. 20.

460.

Spiethoff [1925: 30]; Röpke [1932: 29-30].

461.

Röpke [1932: 27] Nach Ansicht Röpkes kann die Panik der Wirtschaftsakteure bezüglich des Geldwerts nur durch die "bedingungslose Öffnung der Bankschalter zur Befriedigung aller Zahlungsansprüche" beruhigt werden. Diese alte Wahrheit schien man in Deutschland im Sommer 1931 vergessen zu haben.

462.

Spiethoff [1925: 29-30].