Jenseits der Krisenproblematik untersuchen Arthur Spiethoff, Wilhelm Röpke und selbstverständlich Alfred Müller-Armack die anderen Konjunkturphasen.
Aus der Grundidee eines zyklischen Konjunkturverlaufs entwickelt Spiethoff einen „Musterkreislauf der wirtschaftlichen Wechsellagen und Wechselstufen“, gewonnen auf einer umfangreichen statistischen Basis. Der Zyklus unterteilt sich in insgesamt fünf Wechselstufen sowie drei Wechsellagen. Die Stufen sind in Niedergang, erster Anstieg, zweiter Anstieg, Hochschwung und Kapitalmangel gegliedert. Die ersten zwei Stufen beschreiben die Wechsellage der Stockung, die folgenden drei Stufen den Aufschwung. Die letzte Wechsellage schildert die Krise. 473 In seinem späteren Buch von 1955 stellt Spiethoff seinen Musterkreislauf wie folgt vor:
Quelle: Spiethoff [1955: 78]
Von der Aufteilung Spiethoffs übernimmt Wilhelm Röpke nur die drei Wechsellagen. Der im Folgenden dargestellte Konjunkturzyklus nach Spiethoff und Röpke ist außerdem lediglich als Grundschema aufzufassen. 474 Darauf weisen beide Autoren hin. Obgleich ein typischer Verlauf stets erkennbar bleibt, besitzt jeder Konjunkturzyklus eigene, einzigartige Züge. Bei Röpke drückt sich das Charakteristische in Intensität, Extensität oder Dauer der Bewegung aus. Der Ausgang von Wechsellagen kann bei Spiethoff unterschiedlich sein, je nachdem ob es sich um eine Spekulations-, Gründungs- oder Kapitalkrise handelt.
Spiethoffs Musterkreislauf zählt ferner zur „anschaulichen Theorie.“ Seine Gegebenheiten entstammen der Wirklichkeit, von deren geschichtlichen Einmaligkeiten abstrahiert wird. So gelte er weder für frühere noch spätere Zeiten, sondern ausschließlich für den Stil des „Hochkapitalismus“. 475 In der Tat darf man sich fragen, ob Verbrauch und Erzeugung von Eisen, das in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zweifellos eine wichtige Rolle als industrieller Rohstoff spielte und dessen Produktions- sowie Konsumtionszahlen mit der Konjunktur variierten, noch heute mit derselben Zuverlässigkeit die Funktion eines Frühindikators der Konjunktur erfüllen können. Außerdem haben sich seit den dreißiger Jahren die Kapital- und Geldmärkte so tiefgreifend verändert, dass man zu Recht bezweifeln kann, ob die von Spiethoff empirisch ermittelten monetären Zusammenhänge noch in irgendeiner Weise Aktualität besitzen. An diesen trivialen Beispielen zeigt sich die bekannte Schwäche der historischen Methode; aber gerade auch ihre Stärke: Von der Aussagekraft des Musterkreislaufs muss nichts verloren gegangen sein. Wechselstufen und Wechsellagen bestimmen weiterhin den Wirtschaftsablauf. Nur haben sich die wirtschaftlichen Strukturen (Technik, Verbrauchsgewohnheiten, Organisation der Volkswirtschaft, Bevölkerungszusammensetzung, Absatzrichtungen, Wirtschaftsgesinnung, politische, natürliche sowie soziale Umwelt) seit Spiethoffs Anschauung des Hochkapitalismus gewandelt.
Diese Bemerkungen sollen genügen, um die Natur jener Typisierung zu verdeutlichen. In der anschaulichen Theorie Spiethoffs geht es weniger darum, die verschiedenen Phasen theoretisch zu begründen, als vielmehr alle arteigenen Erscheinungen der wirtschaftlichen Wechsellagen zu erläutern sowie deren Zusammenhänge kausal aufzuzeigen. Die theoretischen Argumente sind hier eher implizit vorhanden. Sie beruhen auf Überkapitalisierung, Übererzeugung als Konsequenz der Überinvestition, Zeitverzögerungen und Verschiebungen zwischen Branchen bei Preisbewegungen, Schwankungen der Geld- und Kreditmenge sowie des Vertrauens der Marktakteure.
Da von einem Zyklus die Rede ist, in dem sich jede Phase in der vorhergehenden entscheidet, fällt die Wahl eines Startpunkts schwer. In Anlehnung an Röpke wird nachfolgend vom Ende der Stockung ausgegangen, wo sich die Wirtschaft in einer Ruhelage auf niedrigem Niveau befindet.
Röpke unterscheidet mit Konjunkturaufschwung, Krise und Stockung lediglich drei Momente eines „typischen Verlaufs des Konjunkturzyklus“ (Röpke [1932: 14-23]). Müller-Armack differenziert zwischen Hochkonjunktur, Hausse oder Aufstieg, Depression und Krise (Müller-Armack [1929: 655-656)].
Da Müller-Armack die Idee eines Zyklus ablehnt, werden seine Thesen im Rahmen der Darstellung des Musterkreislaufs von Spiethoff und Röpke vorgestellt, sofern sie eine diesbezügliche Kritik andeuten.
Spiethoff [1955: 12-13].