1.2.1. „Aktualität“ von Theorien statt historischer Relativismus

Eucken akzeptiert es nicht, wissenschaftliche Kenntnisse oder Aussagen zeit- und räumlich zu relativieren. Seine Haltung ist allerdings komplex, weil sie versucht, eine Brücke zwischen dem historischen Relativismus und dem Rationalismus mit seinem Drang nach absoluten, immer sowie überall gültigen Erkenntnissen zu bauen. Das Individuelle, das die Geschichte einem Ereignis verleiht, kann für Eucken die „Kohärenz der Tatsache“ im Weltgeschehen nicht überdecken. Phänomene ergeben sich sowohl aus besonderen als auch aus allgemeinen Kausalitäten heraus und können daher bis zu gewissem Grad an anderen Orten sowie zu anderen Zeiten nochmals auftreten. Die Theorie ist in der Lage, das Generelle wiederzugeben. 681 Die Gültigkeit theoretischer Aussagen verfällt nicht mit einem Wandel der historischen Bedingungen, unter denen sie aufgestellt wurden. Wenn dem so wäre, meint Eucken, dann würde es sich nicht um eine exakte Theorie handeln. Eine Solche sei und bleibe wahr. Jedoch entschieden die jeweiligen historischen Gegebenheiten über ihre „Aktualität“, angewendet zu werden. 682 Nach Euckens Auffassung sind die unterschiedlichen existierenden Theorien vergleichbar mit einer Werkzeugkiste des Nationalökonomen, aus der er sich bedienen kann. Die verschiedenen Aussagen bilden seine Heuristik und werden nur benutzt, wenn die Bedingungen vorliegen, auf die sie sich anwenden lassen.

Diese Idee der Aktualität von Theorien erscheint bei Eucken als eine komplizierte Angelegenheit. Denn im Rahmen der historischen Lehre könnte man ihn im Sinne von Schmoller oder List verstehen: Aussagen, die für eine besondere Wirtschaftsstufe getroffen wurden, sind für eine andere ipso facto nicht gültig. Doch bedeutet für Eucken Aktualität etwas anderes: Bezüglich der Theorie zur Preisbildung beispielsweise heißt Aktualität, dass der ökonomische Preisbildungsprozess im Falle eines atomistischen Angebots ein anderer ist als bei einer monopolistischen Angebotskonstellation. Hier sollte man noch einmal an Euckens historische Untersuchung zur Stickstoffversorgung der Welt zurückdenken. Es sind immer die Beziehungen zwischen Angebot und Nachfrage, die den Preisbildungsprozess bestimmen (außer wenn der Staat selbst diese Rolle übernimmt). D.h. die Variablen bleiben bestehen, was bei den Wirtschaftsstufen nicht der Fall ist.

Notes
681.

Eucken [1938a: 204].

682.

Eucken [1940: 173].