1.2.6. Zwiespältiges Verhältnis zum Normativ

Zu normativen Aussagen und damit indirekt zum zweiten Methodenstreit, i.e. dem Werturteilsstreit mit Schmoller sowie Eugen von Phillipovitch als Kontrahenten, steht Walter Eucken in zwiespältigem Verhältnis. Seines Erachtens deckt die wissenschaftliche Analyse objektive Wahrheiten auf und bringt durch Anwendung der rationalistischen Methode reine kausale Beziehungen zum Vorschein. Die Wissenschaft sei also ein positiver Beruf. Doch ihre Zielsetzung bestehe auch darin, sich zur Lösung konkreter Probleme und zugunsten des sozialen Fortschritts zu verpflichten. Die Wirtschaftstheorie müsse aus ihren objektiven Wahrheiten einen praktischen Wert gewinnen, um anschließend der Wirtschaftspolitik zu dienen. So lautet eben Euckens berühmte Reaktion auf die Misserfolge und Kapitulation der historischen Schule im Zuge der Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise: „Wozu also Nationalökonomie?“ 694 Infolgedessen wird er eine normative Wirtschaftspolitik vorschlagen. Den Fokus auf die erste Hälfte seines Jahrhunderts gerichtet, ist es laut Eucken höchste Zeit, die „Wirtschaftspolitik der Experimente“ zu überwinden. 695 Dementsprechend heißt es im bekannten Vorwort zum ersten Band der Zeitschrift Ordo 1948, deren Mitbegründer Eucken neben Wilhelm Röpke sowie Alexander Rüstow war: „Verarmt wie wir sind, können wir es uns nicht erlauben, nochmals als Experimentierfeld für parteidoktrinär orientierte Versuche auf dem Gebiet der Wirtschaft zu dienen. Ebenso wenig können wir es uns leisten, uns nach vielen Fehlschlägen langsam an irgendeine Ordnung der Wirtschaft heranzutasten. Es gilt vielmehr jetzt, zuvor sorgfältig durchdachte, auf Erfahrung beruhende Grundsätze zur Anwendung zu bringen, die der Vermassung entgegenwirken und ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. 696 Eucken kann sich nicht gänzlich für eines der beiden Lager im Werturteilsstreit entscheiden. Diese Position mag man als Zeichen dafür sehen, dass er vor allem ein Pragmatiker war, der sich nur in theoretische Debatten mit praktischen Implikationen einmischte, akademische „unfruchtbare Streitigkeiten über Definitionen“ hingegen meiden wollte. 697

Ausgehend von Euckens pragmatischer Einstellung wird es ein schwieriges Unterfangen, seine Analyse der Wirtschaftsordnung einerseits und seine wirtschaftspolitischen Empfehlungen andererseits in Einklang zu bringen, um der normativen Aufgabe des wissenschaftlichen Handwerks zu genügen, ohne die idealistische Erforschung absoluter Wahrheiten zu korrumpieren. Euckens Analyse versteht sich als strikt objektiv. Anders als Schmoller wird der wirtschaftspolitische Teil seiner Arbeit klar und deutlich von der durch die positive Analyse gerechtfertigten Norm angeführt. Die Aufteilung dieser beiden Arbeiten in zwei verschiedene Bücher – Grundlagen der Nationalökonomie sowie Grundsätze der Wirtschaftspolitik – erfolgte sicherlich unter dem methodologischen Aspekt.

Notes
694.

Eucken [1938a: 8].

695.

Eucken [1952: 55-58].

696.

Lenel & Meyer [1948: VII-XI] Dieses prominente Vorwort steckt den Zielkatalog ordoliberaler Wirtschaftspolitik für das von der Diktatur befreite Deutschland ab.

697.

Eucken [1934: 8].