Der Sieg über die Knappheit durch eine fünfdimensionale Wirtschaftskoordinierung und das Postulat der Interdependenz der Ordnungen bilden zusammen den Ausgangspunkt für die „Ordnungstheorie“, wie Eucken sie begründet und Karl Paul Hensel sie fortsetzt. Beide sehen die Originalität ihres Ansatzes im so genannten „Denken in Ordnungen“ im Gegensatz zum „Denken in geschichtlicher Entwicklung“ der Schule Schmollers. 762
Zwei Behauptungen können die Logik des „Denkens in Ordnungen“ zusammenfassen: [1] Das menschliche Handeln wird von dem zur jeweiligen Zeit bestehenden institutionellen Rahmen, d.h. von der geltenden Ordnung beeinflusst. [2] Das gesamte Gesellschaftsleben (Wirtschaft, Recht, Religion, usw.) ist in verschiedenen Ordnungen organisiert, deren Morphologie jeweils Einfluss auf die anderen Ordnungen nimmt. Nun bedürfen das diese zwei Behauptungen verbindende Scharniergelenk sowie die Konzeption der Wirtschaftsordnung einer Aufklärung.
Eucken schreibt: „Von der Natur des Landes, von der Rasse der Bewohner, von ihrer Bildung, von der Tradition, von den Überzeugungen der Menschen, von den Institutionen, von der politischen Struktur des Staates, der Landschaft oder der Stadt, überhaupt von der geschichtlichen Umgebung war und ist der wirtschaftliche Alltag abhängig.“ Und weiter: „Alles menschliche Tun ist Geschichte.“ 763 Alle historisch geprägten institutionellen Gesellschaftsformen beeinflussen das menschliche Handeln inklusive dem wirtschaftlichen Handeln. Dessen Ergebnis, i.e. die Ressourcenallokation, hängt vom institutionellen Rahmen ab.
Obgleich die individuellen Wirtschaftshandlungen von der Wirtschaftsordnung abhängig sind, wäre es ein Fehler abzuleiten, dass die anderen Gesellschaftsordnungen direkten Einfluss auf die Wirtschaftshandlungen ausüben. Diese Interpretation des „Denkens in Ordnungen“ ist zu gewagt. Interdependenz der Ordnungen bedeutet nichts mehr als die zwei ersten Aussagen der „Theoretical History“ von Smith, nämlich dass die Beziehungen zwischen Ordnungen nur institutioneller Natur sind. Beim Denken in Ordnungen werden individuelle Handlungen jeweils im Gefüge der entsprechenden Ordnung getrennt analysiert. So gilt es, das Wirtschaften lediglich im Rahmen der Wirtschaftsordnung zu interpretieren. Eucken behält von seinem Studium der Schriften Schmollers nur noch ein begrenztes Bewusstsein über die menschliche Psychologie im Hinterkopf. Er geht dazu über, das Wirtschaftsverhalten der Agenten stricto sensu auf eine wirtschaftliche Rationalität zurückzuführen.
Diese Position der Ordnungstheorie ist natürlich weit entfernt vom Blickwinkel Schmollers und der historischen Schule. Nach Euckens Überzeugung gehört es nicht mehr zur Aufgabe des Ökonomen, beispielsweise das Rechtssystem einer Gesellschaft oder die Psychologie des Menschen zu studieren. Um das Wirtschaftshandeln zu verstehen und mithin Vorschläge zur Überwindung der Knappheit machen zu können, reicht es aus, die Grundstruktur der Wirtschaftsordnung zu erkennen, ihre Beschaffenheit zu einer bestimmten Zeit und an einem speziellen Ort offen zu legen sowie Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Der Ökonom kann einen Großteil der von Schmoller geforderten interdisziplinären Arbeit aufgeben.
Eucken [1952: 19-25]; Hensel [1972: 14-18].
Eucken [1940: 16].