Die Ordnungstheorie weist in ihrem Aufbau eine starke Dichotomie auf; das Denken in Ordnungen fungiert als doppelter Ausgangspunkt. Einerseits wird die Wirtschaftskoordinierung als theoretisches Gesamtgleichgewicht verstanden. Andererseits werden die Wirtschaftsstrukturen und deren Entwicklung in Verbindung mit der Geschichte gebracht. Hier entfaltet die schon zitierte Kritik Manfred Streits ihre volle Bedeutung: Die Interdependenz der Ordnungen bleibt eine historische Feststellung, sie hat keinen theoretischen Charakter. Das Konzept der Wirtschaftsordnung wird dann notwendig, um beide Perspektiven miteinander zu verzahnen, es genügt aber nicht, um sie in einem einheitlichen Ansatz zu verschmelzen.
Eben diese Dichotomie ist sicherlich der Preis, den Eucken zahlen muss, damit sich die große Antinomie zwischen Wirtschaftstheorie und -geschichte auflösen lässt. Bei diesem Versuch, stößt Eucken im Grunde auf dasselbe Problem wie Schmoller bei seinem Unterfangen, Wirtschaftstheorien mit Wirtschaftsgeschichte so zu verbinden, dass für beide Arbeiten eine klar definierte Methode gilt. Kann man überhaupt anders vorgehen, als historische Regelmäßigkeiten zu postulieren und sie zu berücksichtigen suchen, wenn eine „konkrete“ anstatt einer abstrakten Theorie gewonnen werden soll?
Eucken bezieht in dieser Hinsicht sehr deutlich Stellung: „Wissenschaftlich zu definieren sind wir erst befähigt, wenn wir in das Sachproblem eingedrungen sind.“ 764 Jedoch führt die Interdependenz der Ordnungen das Konzept der Ordnung ein, ohne es vorher erklärt zu haben. In derselben gedanklichen Richtung wie Streit üben Amonn und Albert grundsätzliche Kritik am Aufbau von Euckens Theorie. Schon 1941 urteilte Amonn, dass die zweite Behauptung zur Logik des Denkens in Ordnungen keine spontane Beobachtung der wirtschaftlichen Realität zulasse, wie sie eine Überwindung der Antinomie erfordern würde. 765 Dabei bezog er sich auf das folgende Zitat von Eucken: „Wir setzen zunächst keine irgendwie geartete nationalökonomische Lehre voraus. Vielmehr sehen wir allein die alltägliche wirkliche Wirtschaft und stellen Fragen. Es kommt darauf an, in voller Spontaneität die wirtschaftliche Wirklichkeit zu erkennen.“ 766 Die Schwierigkeit bestehe darin, dass die Wirtschaftsordnung nicht spontan erscheine. Sie sei ein intellektuelles Konstrukt und leider kein Kant´sches a priori Urteil. Hans Albert, deutscher Spezialist für den kritischen Rationalismus, fragt sich seinerseits, auf welche geheimnisvolle Weise Eucken seine Problematik ohne den Begriffsapparat des Ökonomen aufstellen möchte? Wie kann man ein Urteil a priori treffen über Sachverhalte, die ganz offensichtlich theoretische Begriffe erfordern? 767
Nochmals: Die Interdependenz der Ordnungen lässt sich ohne vorherige Kenntnis des Ordnungsbegriffs nicht postulieren. Aus rationalistischer Sicht betrachtet misslingt Eucken die erste Stufe seines theoretischen Aufbaus. Dies impliziert sogar einen Widerspruch zum wissenschaftlichen Ideal des Freiburgers.
Ebd. 8.
Amonns Kritik in Meyer [1989 : 36-51].
Eucken [1940: 67-68].
Albert [1984: 44].