2.3.2. Die Ordnung als „Gestaltidee“: eine Lektüre im Lichte der historischen Schule

Die rationalistische Kritik am „Denken in Ordnungen“ ist wohlbegründet. Jedoch mag man sich mit jenem offensichtlichen Widerspruch nicht zufrieden geben, da Walter Eucken seine Vorliebe für die rationalistische Methode nicht verschwieg und seinen Glauben an deren Überlegenheit wiederholt äußerte. In diesem Zusammenhang erscheint die Meinung von Willy Meyer interessant. Ihm zufolge irrt Amonn hinsichtlich der methodischen Ziele, die Eucken sich setzte. Die Ordnungstheorie dürfe nicht auf den Prüfstein des Rationalismus gestellt werden. Es handele sich um eine radikale Theorie, die sowohl am Rande der historischen Schule als auch der theoretischen Richtung angesiedelt sei. Der ordnungstheoretische Analyseapparat bilde ein neues Genre, das außerhalb dieses Systems nicht beurteilt werden könne. 768 Unverkennbar bleibt Meyers Antwort noch unbefriedigend, sie verlagert aber die Debatte und öffnet so einer zweiten Interpretation des „Denkens in Ordnungen“ die Tür.

Tatsächlich ist der Rationalismus nicht am besten ausgerüstet, um das Denken in Ordnungen verständlich zu machen. Wie Hensel betont, bezweckt der Begriff hauptsächlich, sich dem „Denken in geschichtlichen Entwicklungen“ zu widersetzen. 769 Die Logik des Ordnungskonzepts liegt in seiner Opposition zu den von der historischen Schule einst entwickelten Konzepten der „Wirtschaftsstufen“, „Wirtschaftssysteme“ oder „Wirtschaftsstile“ begründet. Daher sollte man die Kritik von Amonn und Albert sowie den Radikalismuseinwand Meyers beiseite schieben und versuchen, Euckens Ordnungsbegriff unter die Lupe der historischen Schule zu nehmen. Hierzu bedarf es Werner Sombarts Analyse.

Nach Sombart besteht ein Wissenschaftssystem aus drei Niveaus: einer „Grundidee“, einer „Gestaltidee“ sowie mehreren „Arbeitsideen.“ 770 Erstgenannte definiert und begrenzt das Feld der wissenschaftlichen Untersuchung. Die Grundidee in Sombarts Analyse von Wirtschaftssystemen ist – wie er selbst zugibt – die „Unterhaltsfürsorge.“ Sie erlaubt ihm, seine Forschungsarbeit zu fokussieren, indem er die „auf die Besorgung von Sachgütern gerichtete menschliche Tätigkeit“ untersucht. Die Gestaltidee bezeichnet dann ein dem Forscher eigenes Konzept, das seiner Theorie eine besondere Identität, eine spezielle Perspektive gibt – einen Rahmen, in dem sie sich entwickeln wird. Laut Sombart verfügt z.B. die Kunstgeschichte über das Stilkonzept als Gestaltidee, um die historische Entwicklung der Kunstrichtungen zu ordnen, zu strukturieren und zu erklären. Arbeitsideen seien schließlich „Vernunftbegriffe, die uns dazu dienen sollen, innerhalb des von Grund- und Gestaltidee geschaffenen Rahmens den nationalökonomischen Erkenntnisstoff zu gliedern.“ 771 Die Wirtschaftswissenschaft kenne mehrere Theorien, die sich ähnliche Gestaltideen gegeben hätten, doch deren Arbeitsideen zueinander im Widerspruch stünden, wie etwa in der Debatte um die Tauschwerte. Grundidee, Gestaltidee und Arbeitsideen bildeten unterschiedliche aber die drei nötigen Niveaus, um ein wissenschaftliches System vollständig zu definieren. Dasjenige von Walter Eucken lässt sich durchaus in diesen drei Ebenen gliedern:

[1] Die Grundidee seiner Ordnungstheorie kann im Überwinden der Knappheit gesehen werden. Sie richtet den Fokus auf die Frage nach dem Koordinierungsmodus wirtschaftlicher Tätigkeiten. Mit dieser Grundidee opponiert Eucken weder gegen die historische noch klassische Schule der Nationalökonomie und macht die zähe Frage nach der Suche eines bestimmten Gleichgewichtes überflüssig.

[2] Als Gestaltidee ist die Ordnung zu verstehen, auf der Euckens gesamte Theorie beruht. Aus diesem Blickwinkel sind das Denken in Ordnungen und das Denken in geschichtlichen Entwicklungen zwei entgegengesetzte Gestaltideen.

[3] Die Arbeitsidee besteht bei Eucken in der Zergliederung der Wirtschaftsordnung in verschiedene Elemente nach den Eigenschaften des Wirtschaftsplans. Genauerer Aufschluss darüber soll im nächsten Abschnitt gegeben werden.

Wenn man die Gestaltidee als a priori Urteil anerkennt, ist die innere Kohärenz von Euckens Theorie weniger stark angegriffen, als sie es seitens der rationalistischen Kritik war. Sicherlich sind die beiden Kernbestandteile der Ordnungstheorie als zwei parallele Ausgangspunkte situiert; gewiss bilden sie für den Rationalismus eine duale Problematik. Im wissenschaftlichen System Euckens befinden sie sich jedoch nicht auf demselben Niveau. Die Grundidee wird wie bei Sombart durch eine Beweiskette logisch abgeleitet und liefert ein Untersuchungsfeld. Die Ordnung gibt dem Untersuchungsfeld eine bestimmte Gestalt, welche dem Forscher erlaubt, Arbeitsideen zu entwickeln, um das Grundproblem zu lösen. D.h. die Wirtschaftsordnung hat ihren Platz eine Ebene unter der Koordinierungsfrage und ist daher methodisch nicht gleichzusetzen.

Gemäß Sombarts Typologie eines wissenschaftlichen Systems ist das Vorgehen von Eucken kohärent. Allerdings kann er die rationalistische Methode nicht anwenden, um seine Fragestellung zu beantworten, da das Postulat interdependenter Ordnungen eine Zweideutigkeit hinsichtlich der rationalistischen Standards beinhaltet, obwohl Eucken so großen Wert auf die Methodenfrage legt. Das Ordnungskonzept setzt sich bei ihm als zum historischen Verfahren gehörige Gestaltidee durch. Trotz Euckens Ambition, die beiden antinomischen Richtungen des Methodenstreits zu versöhnen, trotz seiner Vorliebe für den Rationalismus, könnte der doppelte Ausgangspunkt der Ordnungstheorie – wie Hans Albert als Fazit seiner Untersuchung von Euckens Ansatz zieht – „einen versteckten Sieg des Historismus innerhalb des theoretischen Denkens“ bedeuten. 772

Die Analyse der ordnungstheoretischen Problematik zeigt schon, wie steinig sich der Weg gestaltet, den Historismus zu bezwingen. Die rationalistische Kritik beweist, dass Euckens wissenschaftliches Ideal von Anbeginn umstritten ist. Durch welche Brille darf also sein Konstrukt der Ordnungstheorie betrachtet werden? Sollte man – wie Eucken es eigentlich möchte – die rationalistische gegenüber der historischen Methode bevorzugen und jede Abweichung davon mit Hans Albert verurteilen? Oder sollte man sich Meyers Gedanken einer radikalen Theorie folgend von diesen beiden Methoden befreien? Aber welche Kohärenz gewinnt dann die Ordnungstheorie, wenn sie die Inkompatibilität zweier antagonistischer Richtungen zu lösen beansprucht? Carsten Herrmann-Pillath gibt eine plausible Antwort, indem er schreibt, dass Euckens wissenschaftliches System eine Alternative zum kritischen Rationalismus bietet, die von der deutschen Tradition geerbt hat und eine „intuitiv strukturalistische Methode“ – verwandt mit der Phänomenologie Husserls – entwickelt. 773 Jedoch ist klar, dass Eucken sich nicht soweit von der historischen Methode zu trennen vermag, wie er es gerne hätte.

Notes
768.

Meyer [1989: 36-37].

769.

Hensel [1972: 11-26].

770.

Sombart [1930: 178-191].

771.

Ebd. 185.

772.

Albert [1984: 47].

773.

Herrmann-Pillath [1987: 38; 62].