3.3.3. Wirtschaftsordnung

3.3.3.1. Definition

In sämtlichen Veröffentlichungen von Walter Eucken trifft man auf folgende Erklärung: „Die Wirtschaftsordnung ist die Gesamtheit der Formen, in denen die Lenkung des alltäglichen Wirtschaftsprozesses in concreto – hier und dort, in Gegenwart und Vergangenheit – erfolgte und erfolgt.“ 840 Andere Fassungen können mitunter auftauchen, 841 doch beinhaltet Euckens Definition der Wirtschaftsordnung immer wiederkehrend die oben zitierte Substanz.

Eine Wirtschaftsordnung besteht aus nicht mehr und nicht weniger als den reinen Grundformen, die aus den Wirtschaftssystemen gewonnen wurden: Ausprägungen des Geldsystems, Marktformen, Elemente der zentralgeleiteten Wirtschaft, etc.. Das hat den Vorteil, dass sich dieser Apparat für jede historische Epoche und für jede Zivilisation gebrauchen lässt. Nachdem die „Morphologie“ aller Volkswirtschaften durch Isolierung der Elementarformen erfasst ist, wird ihre Konkretisierung in einer beliebigen Volkswirtschaft, i.e. ihr spezifischer Körperbau, untersucht. Daraus ergibt sich eine bestimmte Kombination von Grundformen, die der jeweiligen Wirtschaftsordnung entspricht.

Wie bereits geschildert, prägen diese Formen den Wirtschaftsplan und daher ein besonderes Verhalten der Wirtschaftsagenten. D.h. von der Wirtschaftsordnung hängt die Leistung einer Volkwirtschaft als Ergebnis ihres Koordinierungsmodus ab, von ihr hängt der Wirtschaftsprozess ab. In Wirklichkeit führt eine Wirtschaftsordnung nur selten zum Gleichgewicht. Sie kann sich aus Formen zusammensetzen, die eigentlich miteinander inkompatibel sind, wenn sie beispielsweise Elemente der zentralgeleiteten Wirtschaft und der Verkehrswirtschaft mischt. Wie im Abschnitt 1.2.4. dieses Teils erwähnt wurde, behält Euckens Analyse die organische Betrachtungsweise der historischen Schule bei: Jedem einzelnen Teil der Wirtschaftsordnung ist eine Funktion zugeschrieben, die in Konflikt mit anderen Teilen treten (zentralgeleitete Preisbildung mit atomistischen Marktformen) und eine suboptimale Koordinierung verursachen kann (Verkehrswirtschaft ohne Geldsystem der Kreditwirtschaft).

Walter Eucken stellt z.B. Deutschlands Wirtschaftsordnung 1945-1947 als unglücklich dar, weil wegen des Krieges und der Alliiertenverwaltung wichtige Elemente der Verkehrswirtschaft (freie Preisbildung, Konkurrenz sowie Planfreiheit) durch andere der Zentralverwaltungswirtschaft (zentrale Preisfestsetzung, Angebotsmonopole sowie Rationierung) ersetzt worden waren. Die zentrale Lenkung versagte insofern, als die Bevölkerung unterversorgt blieb (1944 wurde die Kriegsration von 2200 auf 1000 Kalorien pro Person reduziert). Daher entstanden Formen der Eigenwirtschaft mit Naturaltausch. Monetär erlitt die deutsche Wirtschaftsordnung einen Rückschlag. Denn es bildete sich wieder ein Geldsystem der ersten Form heraus, indem Sachgüter (Zigaretten) die eigene Papierwährung als Tauscheinheit ersetzten. Laut Eucken hatte die Lage in Deutschland zwischen 1945 und 1947 eine „Primitivisierung der Wirtschaftsordnung“ zur Ursache. 842

Notes
840.

Ebd. 167.

841.

Wie z.B. Ebd. 51: „Die Wirtschaftsordnung eines Landes besteht in der Gesamtheit der jeweils realisierten Formen, in denen der Wirtschaftsprozess alltäglich abläuft.“

842.

Eucken [1952: 109-110]. Zur detaillierten Darstellung der deutschen Wirtschaftsordnung vor der Währungs- und Preisreform 1948 siehe Broyer [2003: 201-206].