4.1. Normative Prinzipien zur Erstellung einer Wettbewerbsordnung

Laut den Anhängern des Ordoliberalismus muss die Einführung einer Wettbewerbsordnung im Mittelpunkt jeder Wirtschaftspolitik stehen. Sie sehen die Wettbewerbsordnung als unverrückbare Norm an. Eucken erläutert in seinem Buch „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“ präzise die Aufgaben des Staates, welche in zwei Felder unterteilt werden. Zum einen nennt Eucken „konstituierende Prinzipien“, die auf gesetzgeberischer Ebene durchzusetzen sind und zur Erstellung der Wettbewerbsordnung sowie zur Schaffung der nötigen Institutionen dienen. Zum anderen beschreibt er „regulierende Prinzipien.“ Sie sind anzuwenden, um diese Institutionen zu pflegen. Die konstituierenden Prinzipien sollen das Funktionieren des Marktsystems im Sinne eines Leistungswettbewerbs sichern. Mit den regulierenden Prinzipien sollen im Sinne einer institutionellen Regulierungspolitik die Institutionen der existierenden Wirtschaftsordnung korrigiert und an die gewünschten Institutionen der Wettbewerbsordnung angepasst werden.

Zu bemerken ist, dass Eucken bei seiner Unterscheidung zwischen konstituierenden und regulierenden Prinzipien auf die transzendentale Analyse Kants zugreift. „Dans l'analytique des principes, Kant établit une distinction entre les deux premiers groupes de principes, concernant la structure mathématique des choses, les caractères par où nous pensons comme des grandeurs, et les deux derniers groupes qui nous font saisir dans les choses une liaison dynamique; les deux premiers groupes sont appelés principes constitutifs, parce qu'ils disent ce que sont les choses, les deux derniers sont appelés principes régulateurs, parce qu'ils nous disent selon quelles règles les choses arrivent à l'existence où y restent. 863 Der Unterschied zwischen den beiden Arten von Prinzipien liegt in der Berücksichtigung der Zeit. Konstituierende Prinzipien bilden die Struktur der Sache, ohne deren Veränderung durch die Zeit zu berücksichtigen; regulierende Prinzipien entsprechen der Regel bzw. dem Muster, nach dem sich die Struktur der Sache im Zeitverlauf entwickelt. Indem dies einbezogen wird, erhält die Ordnungstheorie dynamischen Charakter.

Bezüglich der Wirtschaftsinstitutionen erscheint es hilfreich, den Unterschied zwischen konstituierenden und regulierenden Prinzipien anhand Mengers Unterscheidung zwischen pragmatischen und organischen Institutionen zu verstehen. Zur Erinnerung: In dem Modell des Österreichers ist jedes Sozialgebilde zu einem Teil das „pragmatische“ Ergebnis einer positiven Gesetzgebung und zum anderen Teil das unreflektierte, i.e. „organische“ Produkt geschichtlicher Entwicklung. Organische Institutionen sind außerdem „Resultate der individuellen Interessen dienenden Bestrebungen.“ Pragmatische Institutionen wirken lediglich als Bremse oder Beschleuniger des organischen Prozesses. 864 Die konstituierenden Prinzipien eines effizienten Marktsystems dürfen in Euckens Theorie immer nur pragmatische Institutionen sein. D.h. ihre Struktur soll bewusst wissenschaftlich konzipiert und rechtlich durchgesetzt werden. Damit legt er die Basis einer Wirtschaftsverfassung. Regulierende Prinzipien sind notwendig, um die organischen Institutionen zu korrigieren oder um zu vermeiden, dass aus Wirtschaftshandlungen heraus entstandene Institutionen die pragmatischen Institutionen außer Kraft setzen bzw. funktionsunfähig machen. So ist Eucken unter den liberalen Ökonomen in die Kategorie der Konstruktivisten einzuordnen; ein Aspekt, der es unmöglich macht, Hayek als Anhänger der Freiburger Schule anzusehen.

Die konstituierenden und regulierenden Prinzipien kann man – so Grosskettler – durch eine dritte Gruppe von Prinzipien der wirtschaftspolitischen Lehre Euckens ergänzen. Diese werden im Unterschied zu den ersten beiden Gruppen von Eucken nicht explizit genannt, sondern sie lassen sich transversal an den konstituierenden und regulierenden Prinzipien ablesen. Die Prinzipien des dritten Typs legen Art, Umfang sowie Reichweite der wirtschaftspolitischen Entscheidungen des Staates fest. 865

Notes
863.

Bréhier [1962: 544].

864.

Menger [1883: 166-183].

865.

Grosskettler [1989: 38-84].