4.1.1. Die konstituierenden Prinzipien

Zur Schaffung eines effizienten Wettbewerbssystems bedarf es der Umsetzung folgender sechs konstituierenden Prinzipien.

[1] Als erstes ist das Primat der Währungspolitik zu nennen. 866 Ihr Ziel besteht in der Aufrechterhaltung von Geldwertstabilität. Nur wenn der Geldwert stabil ist, stellen Preise jederzeit einen verlässlichen Knappheitsindikator dar und die Planung der Individuen wird so wenig wie möglich durch monetäre Phänomene, wie etwa politisch begründete Auf- oder Abwertungen, verzerrt. Die Planungssicherheit der einzelnen Wirtschaftsagenten bildet eine notwendige Bedingung für einen effizienten Koordinierungsmodus und möglichst schwankungsfreien Wirtschaftsverlauf. Das Primat der Währungspolitik im Ordoliberalismus ist eine unmittelbare Folgerung Euckens aus seinen „Kritischen Betrachtungen zum deutschen Geldproblem”. 867

Die Schwierigkeit bei der politischen Verwirklichung einer stabilen Währung sieht Eucken in modernen Wirtschaftssystemen darin, dass der Geldwert eng mit dem Kreditsystem zusammenhängt, weshalb er grundsätzlich instabil ist. Man erinnere sich hier an den Stand konjunktureller Forschung in der deutschen Nationalökonomie vor dem Zweiten Weltkrieg: Eine Ausweitung der Kreditvergabe wurde beispielsweise von Müller-Armack als Synonym für Geldmengenexpansion und für Inflation betrachtet. 868 Um die Planung der Individuen dennoch vor Geldwertschwankungen zu schützen, fordert Eucken eine vollständige Absicherung der Kreditvergabe von Geschäftsbanken durch deren liquide Mittel. Außerdem soll eine politisch unabhängige Stelle einen rationalen Mechanismus zur Geldwertregulierung entwickeln (für den besten Geldwertstabilisator hält Eucken als Verfechter des früheren Goldstandards eine „Waren-Reserve-Währung“). 869 Das Ziel der Geldwertstabilität, das mit Hilfe quantitativer Kontrolle der Geldschöpfung erreicht und durch eine unabhängige Zentralbank gesichert werden soll, ähnelt Milton Friedmans Theorie und der monetaristischen Politik in den 1980er Jahren, es reflektiert Euckens Erfahrung der Hyperinflationszeit in Deutschland. 870

[2] Um Monopole zu vermeiden, braucht ein verkehrswirtschaftliches System eine konsequente Politik der „offenen Märkt“. 871 Zur Gewährleistung freien Marktzugangs fordert Eucken die Aufhebung sämtlicher Hindernisse, seien sie rechtlicher (Gewerbeverbote, etc.), technischer (Patentrechte, etc.) oder zollrechtlicher Natur (Einfuhrverbote, etc.). Jede Art der Marktschließung mindere mittel- oder unmittelbar die positive Leistung des Wettbewerbs und sei daher unwirtschaftlich. Patente z.B. erachtet Eucken als kartellfreundlich sowie – da sie eine individuelle Monopolstellung verleihen – konzentrationsfördernd. Daraus folgt allerdings nicht, dass er das Patentrecht abgeschafft sehen möchte. Vielmehr sei „Patentpolitik [...] ein wichtiges Stück der Wirtschaftspolitik.“ 872 Eine effiziente Patentpolitik solle die Ausschließlichkeitsrechte etwa durch Kürzung der Schutzfristen oder Einführung von Lizenzgebühren zur Patentnutzung begrenzen. Die Ordoliberalen – in diesem Punkt angeführt von Franz Böhm und Leonhard Miksch – werden sich stark für eine Reform der Patentgesetzgebung in Deutschland einsetzen.

Nur ein vollständiges Ausschließlichkeitsrecht beurteilt Eucken als effizient: das Geldemissionsrecht, das aufgrund des politischen Primats der Währungsstabilität allein dem Staat zu gewähren sei. Zwar hätte sich Eucken bei diesem Gedanken einer supranationalen Währung sicherlich nicht widersetzt, er spricht sich im Unterschied zu Hayek und anderen Ultraliberalen aber gegen eine Privatisierung des Geldes aus.

[3] Die Etablierung einer Wettbewerbsordnung sei nur mit dem Recht auf Privateigentum möglich. Kollektiveigentum solle in einer Wettbewerbsordnung möglichst vermieden werden. Aus Euckens analytischer Gliederung der Wirtschaftssysteme nach dem Freiheitsgrad des Wirtschaftsplans folgt, dass Kollektiv- und Privateigentum inkompatible Bausteine zweier antinomischer Wirtschaftssysteme sind und „Mischformen“ die Wirtschaftsordnung weniger effizient machen. „Das Prinzip schließt nicht aus, dass sich einzelne Betriebe in der Hand des Staats befinden“, solange „sie in der Wettbewerbsordnung erträglich“ sind, d.h. solange „die Preisbildung auf den Märkten nicht durch staatliche Subventionen an solche Werke gestört wird.“ 873 Frankreichs Erfahrungen aus der Nachkriegszeit bis in die achtziger Jahre haben gezeigt, wie schwierig sich die Rolle des Staates als freier Unternehmer in einer Verkehrswirtschaft gestalten kann. Eine Rolle, die nun von der EU im EG-Vertrag formuliert und stets klarer wird.

Das Recht auf Privateigentum alleine ist laut Eucken keine hinreichende Institution zur Etablierung einer Wettbewerbsordnung. Man dürfe nicht übersehen, „dass Privateigentum je nach der Marktform ganz Verschiedenes bedeutet.“ 874 Eine pragmatische Wirtschaftsinstitution erfüllt die erwünschte Funktion, für die sie konzipiert wurde, nicht automatisch. Diese unverkennbare Sichtweise Euckens ist eine der markantesten Eigenschaften seines „Denkens in Ordnungen.“ Privateigentum verhindert z.B. nicht die Bildung von Monopolen – also von Machtstellungen, die zur Ausbeutung der Rechte anderer Agenten führen. Um zu einer Wirtschaftsordnung zu gelangen, in der „zwischen den Privateigentümern der Betriebe Gleichgewicht wirtschaftlicher Machtverteilung“ herrscht, sollten die Funktionen und Formen des Privateigentums so definiert werden, dass sie das altbekannte Demokratieprinzip verwirklichen – demzufolge die Freiheit des Einzelnen dort aufhört, wo die Freiheit von anderen verletzt wird. „Privateigentum bei vollständiger Konkurrenz bedeutet somit:

a) Verfügungsmacht und Verfügungsfreiheit im Dienste der Volkswirtschaft;

b) Ohnmacht, die Verfügungsmacht und Freiheit der anderen Eigentümer zu Lasten der Gesamtheit einzuschränken.“ 875

[4] Neben der Definition von Eigentumsrechten verlangt Eucken garantierte Vertragsfreiheit. Deren Wirkung hängt – wie er wiederholt in seiner Institutionenanalyse feststellt – abhängig von der herrschenden Marktform ab. Vertragsfreiheit kann „konkurrenzfördernd“ wirken, wenn Wettbewerb herrscht; sie kann „konkurrenzvernichtend“ wirken, wenn ein Monopol besteht. „Vertragsfreiheit darf nicht zu dem Zweck gewährt sein, um Verträge zu schließen, welche die Vertragsfreiheit beschränken oder beseitigen.“ Damit sie nicht zur Verstärkung einer wirtschaftlichen Machtposition führt, soll Vertragsfreiheit Eucken zufolge erst dann institutionalisiert werden, wenn der Wettbewerb bereits existiert. 876

[5] Zu den konstituierenden Prinzipien einer Wettbewerbsordnung gehört auch die Haftung für wirtschaftliches Handeln, denn: „Wer den Nutzen hat, muß auch den Schaden tragen.“ Eucken sieht ein Problem in der modernen Unternehmensform, die es zunehmend erlaube, sich der Haftung zu entziehen. Darüber hinaus zeigt er sich mit der durch Schumpeter bekannten These einverstanden, wonach im modernen Kapitalismus die Trennung von Haftungs- und Entscheidungsträger zunimmt und dieser Prozess die Kapitalrendite zum Schmelzen bringt. Als Möglichkeiten, der „Entpersönlichung“ modernen Wirtschaftens entgegenzuwirken, nennt Eucken eine Reform des deutschen Aktienrechts von 1937 („herrschende Unternehmungen [...] sollen für die Verbindlichkeiten der von ihnen abhängigen Unternehmen haften“), eine nach Eigentumsrechten klar definierte Haftung des Vorstandes sowie eine Reform des GmbH-Rechts. Was dem Haftungsaspekt betrifft, vertritt der Freiburger Professor eine ähnliche Meinung wie Schmoller. 877

[6] Schließlich muss die Wirtschaftspolitik so gestaltet sein, dass sie die Planung der Wirtschaftssubjekte nicht verzerrt, diese sich immer auf Preis-Kosten-Verhältnisse verlassen und Marktschwankungen korrigieren können. Der Schlüssel zum Wirtschaftswachstum liegt für Eucken in der Investitionsneigung, die seines Erachtens nicht mit dem erreichten Wohlstand einer Gesellschaft sinkt. „Die nervöse Unrast der Wirtschaftspolitik, die oft heute verwirft, was gestern galt, schafft ein großes Maß von Unsicherheit und verhindert [...] viele Investitionen. Es fehlt die Atmosphäre des Vertrauens.“ Hiermit bringt Eucken das Prinzip der „Konstanz der Wirtschaftspolitik“ ein. Auch in dieser Hinsicht gibt es eine Parallele zwischen dem Ordoliberalismus und der Auffassung Friedmans. Das Stabilitätsprinzip bezieht sich auf die Rationalität von Individuen, die ihre Erwartungen anpassen können. Eine stabile Wirtschaftspolitik soll ihnen stabile Daten als Planungsgrundlage zur Verfügung stellen. Die Wirtschaftssubjekte antizipieren die zukünftigen Daten auf Basis der für die vorangegangene Planungsphase ermittelten Werte, gegebenenfalls unter Berücksichtigung damaliger Prognosefehler. Die Wirtschaftssubjekte sind also anpassungsfähig. Wird dieser Prozess vom Staat gestört, kann nie ein Gleichgewicht erreicht werden. Unter konstanter Wirtschaftspolitik stellt sich Eucken – neben einer Politik der Geldwertstabilität – beispielsweise berechenbare Abschreibungsregeln für Kapital und die Aufhebung staatlich geregelter Preise vor. 878

Den sechs konstituierenden Prinzipien weist Eucken den Rang einer Wirtschaftsverfassung zu. „Ihre gemeinsame Anwendung konstituiert eine gewisse, gewollte Wirtschaftsordnung, indem sie Bedingungen herstellen, welche diese Ordnung zur Entfaltung bringen.“ Jedes der konstituierenden Prinzipien ist eine tragende Säule der Wirtschaftsverfassung. Die gewollte Ordnung kann nicht existieren, wenn nur ein Prinzip nicht zur Verwirklichung kommt. Kein Prinzip lässt sich durch ein anderes ersetzen. 879

Notes
866.

Eucken [1952: 255-264].

867.

Vergleiche Teil 2 dieser Arbeit.

868.

Siehe Teil 2 dieser Arbeit.

869.

Eucken [1952: 264]. Eine Rückkehr zum Goldstandard sei nicht nur wegen der internationalen politischen Lage unmöglich. Die merkantilistische Politik Frankreichs sowie Amerikas der Goldakkumulation nach dem Ersten Weltkrieg habe die Grenzen eines Systems gezeigt, das auf einem einzigen Reservegut beruhe und Konzentrationstendenzen ermögliche (Eucken [1923: XX]).

870.

Dehay [1995: 27-53].

871.

Eucken [1952: 264-270].

872.

Ebd. 269.

873.

Ebd. 271-272.

874.

Ebd. 273.

875.

Ebd. 274.

876.

Ebd. 275-279, Zitat S. 278.

877.

Ebd. 279-285, Zitate S. 279; 283. Dazu mehr in Teil 1 dieser Arbeit.

878.

Ebd. 285-289.

879.

Ebd. 289-291.