4.1.3. Prinzipien für das politische Handeln

Zweck ordoliberaler Wirtschaftspolitik ist es, die Wettbewerbsordnung als eine Rechtsordnung zu verwirklichen. Mittel dieser Wirtschaftspolitik sind die konstituierenden sowie regulierenden Institutionen. Der Staat hat die Rolle, selbige Institutionen zu etablieren und zu garantieren, mehr darf er allerdings nicht tun. Negativ ausgedrückt könnte man sagen, dass der ordoliberale Staat nur Mittel zum Zweck ist. Dies bedeutet einen radikalen Unterschied zur früheren aristotelischen Konzeption im deutschen Kameralismus oder in der deutschen Romantik. Nach Euckens Vorstellung definiert die Wissenschaft das oberste Ziel der Wirtschaftspolitik. Sie sei die wichtigste „ordnende Potenz“ der Gesellschaft, weil nur sie unparteiisch und rational arbeiten könne. Der ordoliberale Staat ist also der Wissenschaft untergeordnet. 884 Insofern versteht man, warum die Frankfurter Wirtschaftsadministration während Deutschlands Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg den Kontakt zu Nationalökonomen pflegte und es sich zur Aufgabe machte, einen wissenschaftlichen Beirat zu gründen – ein Gremium, in dem Ordoliberale wesentlichen Einfluss gewannen. 885

Zwar erscheint die Anmerkung wenig originell, aber Fakt ist, dass diese beschränkte Staatsrolle in der ordoliberalen Theorie auch mit dem Zusammenbruch der Weimarer Republik zu tun hat. Laut Eucken kennzeichnet einen modernen Wirtschaftsstaat, dass er aufgrund seines qualitativ wie quantitativ intensiveren Handelns und aufgrund des Verhaltens privater Interessengruppen an Autorität verliert. Letztere üben Druck aus, um die Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik zu beeinflussen, werden jedoch vom Staat selbst, z.B. in Handelsverhandlungen, legitimiert. In einer so organisierten Gesellschaft führt „Rent seeking“-Verhalten der Wirtschaftsmächtigen zu Nachteilen für den Konsumenten, da die Produzenten die Kosten dieses Verhaltens (Bsp.: Bestechung politischer Entscheidungsträger) in ihre Kostenfunktionen integrieren. 886 Eucken zufolge verhindert eine schwache Staatsgewalt nicht nur die pareto-optimale Ressourcenallokation. Gemäß der Interdependenz der Gesellschaftsordnungen bestehe darüber hinaus die Gefahr, dass derartige Phänomene eine politische Krise und die Missachtung des Verfassungsstaates auslösen. Daher seien Wirtschaftspolitische Ziele außerhalb des Staatsapparates zu definieren, der lediglich genug Macht erhalten solle, um seine Aufgabe zu erfüllen. 887

Zwei Grundsätze leitet Eucken aus dieser Konzeption ab:

Die Vorstellung des Ordoliberalismus, ein Staat mit parlamentarischer Demokratie könne sich von Lobbys weitestgehend befreien, ist allerdings kaum realistisch. Mit Blick auf eine mögliche Weiterentwicklung der politischen Ordnung erscheint es außerdem problematisch für die Wirtschaftspolitik fixe Ziele festzulegen. Und schließlich bleibt zu kritisieren, dass die Handlungsprinzipien für den Staat so formuliert sind, dass sie sich in Wirklichkeit kaum umsetzen lassen.

Kritik ist des Weiteren an der deutschen Wirtschaftspolitik zwischen 1948 und 1966 angebracht, die sich in dieser Zeit vom Ordoliberalismus inspirieren ließ. Aufgrund des exogenen Charakters der Währung in der ordoliberalen Theorie übersah man, dass die verschiedenen Marktformen auch Relevanz für Geschäftsbanken haben, die in der Wettbewerbsordnung eine bedeutende wirtschaftliche Machtgruppe darstellen. Dieses politische Manko führte zur erneuten Konzentration des deutschen Bankensystems im Dezember 1956. Das aus ordnungsliberaler Sicht im Jahr 1957 immer noch unvollständige Wettbewerbsgesetz sowie Ludwig Erhards Rücktritt 1966 nähren starke Zweifel daran, ob eine nahezu gänzliche Ausschaltung wirtschaftlicher Machtgruppen überhaupt als umsetzbares Ziel für die Wettbewerbspolitik oder als soziale Form der Regulierung betrachtet werden kann.

Abbildung 17: Euckens Ordnungstheorie
Abbildung 17: Euckens Ordnungstheorie
Notes
884.

Allerdings handelt es sich hier nicht um „irgendeine „Wissenschaft“. Auf die entsprechende Debatte soll in dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Sie führt zur Definition von Max Weber der „Wissenschaft als Beruf“. Das wissenschaftliche Ideal Euckens wurde bereits am Anfang des vorliegenden Teils erläutert.

885.

Broyer [2003: 201-220].

886.

Krüger [1980: 51-70].

887.

Eucken [1952: 327-332].

888.

Ebd. 334.

889.

Ebd. 336.