4.2.1. Neoliberale Einflusskreise in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg

In der Zeit nach Kriegsende leisteten deutsche Ökonomen besonders intensive politische Überzeugungsarbeit: Walter Eucken als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Wirtschaftsverwaltung der Bizone, Franz Böhm als Mitglied des Kartellamtes und später als CDU-Abgeordneter im neuen Bundestag und vor allem Ludwig Erhard als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, nachher als Wirtschaftsminister unter Kanzler Adenauer und schließlich von 1963 bis 1966 als Bundeskanzler. Ihre Beiträge zur politischen Diskussion in Deutschland, insbesondere im Rahmen des wissenschaftlichen Beirats, und ihre aktive Unterstützung der Währungsreform im Jahr 1948 sowie der Liberalisierung von Preisen, Produktion sowie später Löhnen und Gehältern führten schließlich zur Durchsetzung der sozialen Marktwirtschaft. Nicht zu vergessen ist Alfred Müller-Armack, der zwischen 1952 und 1963 enger Mitarbeiter Ludwigs Erhards war, zunächst als Leiter der wirtschaftspolitischen Grundsatzabteilung, dann als Staatssekretär verantwortlich für die Leitung der Europaabteilung der Bundesregierung.

Der Ordoliberalismus war allerdings nicht die einzige liberale Strömung, die sich an den deutschen Universitäten gegen Kriegsende herausbildete. Die geistige Diktatur der Nazis ließ jedoch keine intensivere Weiterentwicklung des liberalen Gedankengutes zu. 890 Im zweiten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts zählten Tuchtfeldt und Willgerodt mindestens drei liberale Strömungen in Deutschland: 891 die älteste Gruppe um Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow, die sich für den liberalen Idealismus im Exil eher als Einzelkämpfer einsetzten; eine zweite, in der Freiburger Fakultät für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften akademisch gut organisierte Gruppierung um Walter Eucken sowie Franz Böhm, bekannt als die Freiburger Schule; ein dritter Kreis, der die Schüler Alfred Müller-Armacks – geistiger Vater des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft – in der so genannten Kölner Schule umfasste.

Somit war es nicht allein die Freiburger Schule, die den Ordoliberalismus prägte und verbreitete. Trotz ihres politischen Exils spielten Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke eine aktive Rolle bei der wissenschaftlichen Entwicklung des liberalen Gedankengutes in Deutschland. 892 Unterstützt wurde die politische Arbeit durch zahlreiche Veröffentlichungen. Besonders zu erwähnen sind Röpkes wissenschaftliche Publikationen, die Artikel von Erhard in der Neuen Zeitung sowie Müller-Armacks Briefe an deutsche Industrielle und Geschäftsleute. Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Ordoliberalismus spielte auch die Zeitschrift Ordo, die im Jahr 1948 von Franz Böhm und Walter Eucken gegründet wurde.

Notes
890.

Rieter & Schmolz [1993: 88-91].

891.

Tuchtfeldt & Willgerodt [1994: 369-371].

892.

Starbatty [1994: 240]; Johnson [1989: 40-68].