4.2.2. Politisches Glaubensbekenntnis des Ordoliberalismus

Als ordoliberale Begründung für die Umsetzung einer Wettbewerbsordnung dient der Verweis auf eine effiziente Ressourcenallokation, die Koordination individueller Wirtschaftspläne sowie die Einkommensverteilung, aber auch der Verweis auf eine politische und soziale Organisation, welche für viele Fachleute den Grundsätzen des Wettbewerbskonzepts von Adam Smith entspricht. 893

In Euckens Werk werden der Wettbewerbsordnung sechs Funktionen zugeschrieben. 894 Erstens sorgt im Fall vollständiger Konkurrenz der entsprechende Koordinierungsmodus dafür, dass die Individuen mit Hilfe von Planungs-, Entscheidungs- und Vertragsfreiheit und dank der Einschränkung nicht legitimierter Machtpositionen ihre Stärken besser entfalten können. Zweitens führt die vollständige Konkurrenz tendenziell zu einer Harmonisierung privater und gesellschaftlicher Interessen, wobei dieses Argument an das von Adam Smith entwickelte Konstrukt der „unsichtbaren Hand“ als beste Koordinationsform in einem arbeitsteiligen System erinnert. Drittens wird die Koordination insofern als optimal bezeichnet, als der Koordinierungsmechanismus, d.h. das Preissystem, die relative Knappheit der Güter misst. Vierte Funktion des Wettbewerbs ist die in ihm angelegte Tendenz zur Stabilität bzw. zum Gleichgewicht. Das Gleichgewicht wiederum hat die fünfte Funktion, eine leistungsgerechte Einkommensverteilung sicherzustellen. Sechstens entfaltet wirtschaftlicher Wettbewerb positiven Einfluss auf die anderen Gesellschaftsordnungen, insbesondere auf die Achtung der Gesetze sowie den Schutz des Gemeinwohls, der Freizügigkeit, freier Berufswahl und des Privateigentums als Garant für den Schutz der persönlichen Freiheit. Übrigens ist das Recht auf Privateigentum einerseits eine Bedingung für Wettbewerb, andererseits trägt der Wettbewerb dazu bei, dass dieses Recht nicht verletzt wird.

Ein weiteres, wichtiges Element des Ordoliberalismus besteht darin, den Wettbewerb als sozialen Regulierungsmechanismus zu nutzen mit dem Ziel, Machtpositionen zu begrenzen, die in freien Gesellschaften entstehen können. Eucken formuliert dies unter Bezugnahme auf seine früheren akademischen Schriften und auf sein gemeinsames Schaffen mit Franz Böhm in Freiburg so: „Die Wirtschaftspolitik wird wie alle Politik vor das Problem der Macht gestellt.“ 895 Die Wettbewerbsordnung schützt Individuen durch größtmögliche Startgleichheit sowohl vor öffentlicher als auch vor privatwirtschaftlicher Macht. Daher ist mit dem Wettbewerb im Sinne des Ordoliberalismus eine spezifische Ethik verbunden, die eine Wohlfahrtsfunktion auf Grundlage des Pareto-Optimums definiert. Für Röpke ermöglicht nur der Wettbewerb ein Geflecht „ethisch neutraler Beziehungen“ zwischen einem Individuum und anderen Gesellschaftsmitgliedern. 896 Was den Wettbewerb antreibt – nach Meinung Euckens die „Überwindung der Knappheit“ – ist in Röpkes Augen eine „soziale Form des Kampfes gegen den Mangel.“ Die Neutralität sozialer Beziehungen hängt mit der Pareto-Optimalität zusammen: In der Wirtschaft treten die Individuen miteinander in Interaktion, um ihren eigenen Wohlstand zu erhöhen, ohne denjenigen anderer zu schmälern.

Indem der Ordoliberalismus die ethische Rolle wirtschaftlicher Beziehungen betont, nähert er sich letztendlich der physiokratischen Utopie. 897 Die Anhänger des Ordoliberalismus verteidigen ihn nicht nur unter Verweis auf seine maximale wirtschaftliche Effizienz und seine optimalen sozialen Regulierungsfunktionen, sondern auch weil selbige Funktionen dem Wesen aller Dinge und der Menschheit entsprechen, wobei es allerdings bei der bloßen Behauptung bleibt. Deshalb wird die Umsetzung der Wettbewerbsordnung als einziges, ständiges Ziel für die Wirtschaftspolitik postuliert. Und da diese Wirtschaftspolitik sich nicht von alleine verwirklicht, sondern konstruiert und reguliert werden muss, setzten sich die Verfechter des Ordoliberalismus politisch aktiv für ihn ein.

Notes
893.

Myers [1976: 563-567].

894.

Lenel [1975: 49-62].

895.

Eucken [1952: 169].

896.

Röpke [1937: 39].

897.

Streit [1992: 681].