5. Weiterentwicklungen der Theorie Walter Euckens

Sowohl die Ordnungstheorie als auch der Ordoliberalismus wurden und werden vielfach kritisiert, wobei die in den vorangegangenen Ausführungen nur einen kleinen Teil der Kritik bilden. Allerdings wurde diese Kritik erst durch die wirtschaftswissenschaftlichen Fortschritte seit der Entstehung des Eucken’schen Ansatzes möglich. Sie bezieht sich hauptsächlich auf die Frage, inwieweit die Instrumente, die Eucken zur Entwicklung seines Forschungsgegenstandes und seiner Analysemethode verwendete, geeignet waren. Gemeint sind Konzeption und Funktionen des Wettbewerbs, die Rationalität der Wirtschaftssubjekte, die Exogenität der Währung oder das Fehlen einer dynamischen Institutionenanalyse. Die Kritik am politischen Erfolg des Ordoliberalismus gilt es zu relativieren. Die makroökonomischen Ergebnisse von Ludwig Erhard werden gewöhnlich direkt mit den theoretischen Prinzipien verglichen, die nur zum Teil verwirklicht wurden. Dies war aber eher eine Folge parteipolitischer Machtspiele als ein Zeichen inkohärenter Theorie. Darüber hinaus wird die Konzeption der Rolle und Ausgestaltung des ordoliberalen Staates heute anhand von Theorien beurteilt, die auf der Grundlage neuer Erfahrungen parlamentarischer Demokratien entstanden. Zusammenfassend kann man festhalten, dass sämtliche Kritik vorwiegend die sekundären Thesen aus Euckens Werk betrifft.

Mit ihrer Untersuchung der kontextbezogenen (i.e. ordnungsbedingten) Wirtschaftskoordination, die sich in über das Marktsystem hinausgehenden Institutionen widerspiegelt, durch ihre Betonung der funktionsabhängigen Interdependenz von Institutionen und insbesondere durch Aufzeigen des politischen Einflusses wirtschaftlicher Machtgruppen hat die Freiburger Schule Analysen zum Thema Ordnung und Wirtschaftssysteme angestoßen, die heute noch zeitgemäß bzw. relevant sind. So gibt es inzwischen mehrere Forschungsarbeiten, die versuchen, der Kritik von außen Rechnung zu tragen und sich unter Einbezug neuer Heuristik erneut mit diesem Thema zu befassen. Daher ist es sinnvoll, die Grundlagen der neuen Ordnungstheorie mit den traditionellen Definitionen in Zusammenhang zu bringen. Zur Ersteren zählen unterschiedliche Ansätze, die hauptsächlich im deutschen Raum entwickelt wurden.

Im Wesentlichen haben zwei größere Arbeiten zu einer Neubelebung der Ordnungstheorie beigetragen. Die Erste kann als Weiterentwicklung der traditionellen Ordnungstheorie bezeichnet werden. Sie hält nichts von einer statischen Konzeption der Ordnungen, sondern verwendet Analyseinstrumente, die von Hayek und der Neuen Institutionenökonomik stammen. 914 Die Zweite setzt sich stärker von den Grundlagen der traditionellen Ordnungstheorie ab. Sie greift lediglich das Thema der Ordnung auf, nicht jedoch die damit verbundenen neoklassischen Mechanismen. Daher kann hier auch kaum mehr von einer Weiterentwicklung die Rede sein. Es handelt sich eher um eine Rückbesinnung ausgehend von Euckens Ordnungstheorie auf deren Wurzeln in der deutschen Nationalökonomie. Die Arbeit von Professor Schefold zeigt die Komplementarität zwischen Wirtschaftssystemen und -stilen auf, um die Ethik als endogene Variable der Ordnung einzuführen. 915 Außerdem stützt sie sich in ihrer Auseinandersetzung mit der Einkommensverteilungsfunktion auf die in Cambridge hervorgebrachten Theorien. 916 Dies hat die Ablehnung des Ordoliberalismus als besten wirtschaftlichen sowie sozialen Regulierungsmechanismus und die Definition einer völlig anderen Ordnungspolitik zur Folge.

Notes
914.

Streit [1995: 3-5].

915.

Schefold [1995a: 16ff].

916.

Schefold [1995b: 9-38].