5.1. Parallelen zur Neuen Institutionenökonomik

In den 1980er Jahren, als das Gedankengut der Neuen Institutionenökonomik zunehmend Verbreitung fand, versuchten mehrere Beiträge, die Freiburger Schule in die Diskussion einzugliedern. Eine Verbindung zwischen Freiburger Schule und Neuer Institutionenökonomik herzustellen, ist berechtigt, da beide von derselben methodischen Basis ausgehen. 917 Laut Hutchison entspricht diese gemeinsame Basis mehr dem Ansatz Smiths als dem Ricardos. 918 Letzterer beschreibe die rein wirtschaftlichen Schritte hin zu einer Politik des freien Marktes, die ein Gleichgewicht oder ein utopisches Wettbewerbsoptimum anstrebe. Demgegenüber bezieht sich der Ansatz von Smith auf eine wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft im weiteren Sinne, die neben der sozialen und politischen Ordnung insbesondere die Grundlagen und Rechtsstrukturen der Wirtschaftsordnung umfasst. Dieser Ansatz fußt auf einer realistischeren Einschätzung der Rationalität von Individuen. Er berücksichtigt auch die Möglichkeit unvollständiger Information. Die wirtschaftspolitischen Ziele fallen daher bescheidener aus; Gesetzesvorschriften sind dazu bestimmt, für eine gewisse wirtschaftliche Effizienz zu sorgen. Der erste Teil dieser Arbeit hat offengelegt, inwiefern Smith und Ricardo sich unterscheiden und warum – wie Hutchison ebenfalls zeigt – Euckens Theorie sowie die auf List und Müller folgende deutsche Nationalökonomie historischer Tradition sich mehr auf Smith als auf Ricardo stützt.

Zudem sind sich traditionelle Ordnungstheorie und Neue Institutionenökonomik laut Tietzel deshalb sehr nahe, weil ihre Axiomatik ähnlich ist. 919 Beide bauen auf den neoklassischen Theorien auf. Auch der methodologische Individualismus, den die Neue Institutionenökonomik als Basis nimmt, lässt sich mit dem deutschen Ordnungskonzept vereinbaren. Bei volkswirtschaftlichen Transaktionen beruht die Effizienz auf der Koordination individueller Wirtschaftspläne. Die Hypothese rationalen Verhaltens der Individuen – verstanden als Maximierung einer individuellen Nutzenfunktion – erweitern beide Lehren durch die Einführung einer nicht fiktiven Zeitvariablen. Die Frage nach den Regeln wird zum zentralen Problem der Koordination von Wirtschaftssubjekten, außerdem sehen die zwei Theorien eine ähnliche Integration der ethischen Dimension vor. Die Wirtschaft ist auf gleiche Weise in die Gesellschaft eingebettet, was in beiden Lehren die Einführung der moralischen Dimension als exogene Variable rechtfertigt.

Tietzel nimmt diese Ähnlichkeiten zur Kenntnis, bestreitet aber jegliche Verwandtschaft zwischen klassischer Ordnungstheorie und Neuer Institutionenökonomik. Seine Schlussfolgerung bedeutet jedoch nicht das Ende des Versuchs, Parallelen zwischen ihnen herzustellen. Es gibt spätere Arbeiten, in denen die Instrumente der beiden Ökonomiezweige noch präziser verglichen werden.

Eine Arbeit beispielsweise analysiert Euckens Koordinationsmechanismus im Lichte der Theorie über das Eigentumsrecht. Selbiger Vergleich erscheint interessant, weil das Recht auf Privateigentum zu den konstituierenden Prinzipien des Ordoliberalismus gehört und auch wegen der Interdependenz zwischen Wirtschaft und Rechtsvorschriften. Bei jener Analyse wird schnell deutlich, dass Euckens Ansatz weitsichtiger ist. Die klassische Ordnungstheorie berücksichtigt nicht nur die Form des Eigentums an den Produktionsmitteln, sondern auch die Tatsache, dass der Koordinationsmechanismus von der Verteilung individueller Planungskompetenz abhängt. 920 Entscheidend für den Koordinationsmodus ist nicht das Eigentumsrecht sondern der Grad an Planungsfreiheit, während Ersteres nur eine Determinante der Letzteren bildet. 921

Das theoretische Instrumentarium, das der Eucken’schen Institutionenanalyse zugrunde liegt, ermöglicht auch einen Vergleich mit der Transaktionskostentheorie von Williamson. Williamson startet vom selben Ausgangspunkt, seine Forschung unterscheidet sich von der klassischen Ordnungstheorie aber in zweierlei Hinsicht. Zum einen wird die Koordination auf verschiedenen Ebenen gemessen. 922 Die Transaktionskostentheorie konzentriert sich auf mikroökonomische Wirtschaftsbeziehungen, wohingegen Eucken allein die makroökonomische Ebene untersucht, beide glauben allerdings an eine relative Kontinuität zwischen mikro- und makroökonomischen Phänomenen. Am deutlichsten unterscheiden sich die zwei Ansätze jedoch in der Beziehung zwischen den Koordinationsmechanismen „Markt und Hierarchie.“ Nach Ansicht Williamsons besteht aufgrund der Transaktionskosten eine Kontinuität zwischen den beiden. 923 Ein Wirtschaftssubjekt kann den Koordinationsmodus – Markt oder Hierarchie – wählen, der die Kosten seiner Transaktion minimiert. Dagegen ist Eucken der Auffassung, dass es zwischen Marktkoordination und zentraler Planung keine Kontinuität gibt, was keinen Vergleich der zwei Koordinationsmechanismen zulässt. Schüller zufolge kennt die klassische Ordnungstheorie den Begriff Transaktionskosten, sie verwendet ihn jedoch nur für den Fall der Marktkoordination.

Und schließlich ist es ebenso möglich, Parallelen zwischen den wirtschaftspolitischen Grundsätzen der Freiburger Schule und denjenigen der Constitutional Economics zu ziehen. 924 Vanberg vertritt sogar die Ansicht, dass die Freiburger Schule eine Vorreiterrolle für die Konstitutionenökonomik gespielt hat. Beide betrachten die Wirtschaftsordnung als eine Ordnung von Regeln und weniger als eine Ordnung von Handlungen. Um die Wirtschaftsordnung zu erreichen, braucht es eine Wirtschaftsverfassung. In dieser Hinsicht teilen beide Theorien dieselbe konstruktivistische Konzeption der institutionellen Struktur und streben keine quantitative Outputeffizienz an. Letztendlich verlangt das Konzept der Verfassungsordnung in jedem Fall nach der Definition normativer Evaluationskriterien zur Beurteilung des institutionellen Rahmens.

Alle diese Beiträge machen deutlich, dass die Freiburger Schule auch heute noch theoretische Relevanz hat. Die klassische Ordnungstheorie – als Forschungsfeld sowie Methode zur Analyse des institutionellen Rahmens einer Wirtschaft – und der Ordoliberalismus – als konstitutionelle Theorie des Wettbewerbs sowie des Staates – kündigen bereits in verschiedenen Punkten die Arbeiten der Neuen Institutionenökonomik an. Dass zwischen den zwei Lehren eine Verwandtschaft besteht, muss jedoch bestritten werden, da der angelsächsische Ansatz von den zeitlich vorangegangenen deutschen Arbeiten unberührt bleibt. 925 Deren Schlussfolgerungen finden sich erst in einer späteren Phase berücksichtigt, in der die deutschen Theorien unter Nutzung ihrer Nähe zur Neuen Institutionenökonomik weiterentwickelt werden.

Notes
917.

Vanberg [1988: 17-18].

918.

Hutchison [1981: 162].

919.

Tietzel [1990: 10-26].

920.

Schüller [1987: 77].

921.

Schmidtchen [1984: 61-62].

922.

Grosskettler [1989: 65].

923.

Williamson [1994].

924.

Leipold [1987]; Vanberg [1988]; Streit [1992]; Krüsselberger [1989].

925.

Hutchison [1981: 167].