Abschließender Teil

„Alles menschliche Tun ist Geschichte.“ (Eucken [1940: 16])

Mit der Ordnungstheorie schuf Walter Eucken eine Synthese aus dem ersten Methodenstreit, in den Gustav Schmoller als Vertreter der historischen Schule der Nationalökonomie und Carl Menger als Vertreter der reinen Theorie involviert waren. Wie oft bei brisanten Innovationen verfügte Walter Eucken für ein solches Unterfangen über die notwendigen Kompetenzen, die er aus diffusem Wissen seiner Zeit sammelte – in diesem Prozess leisteten ihm seines Vaters Lehre von den Kant’schen Prinzipien sowie die Freundschaft mit dem Phänomenologen Edmund Husserl wertvolle Hilfe. Aber auch der richtige historische Moment war gekommen. Denn das Programm der historischen Schule war nicht nur theoretisch angegriffen, es strauchelte daran, auf das soziale Elend der Hyperinflation 1923 und der Weltwirtschaftskrise 1932 eine praktische Antwort zu geben. Eucken war mit dem Programm der historischen Schule wohl vertraut, da sich seine wissenschaftlichen Frühwerke in die alte deutsche Tradition eingliederten. Er zeigte aber auch frühe Emanzipationssignale, auf die der historische Moment als Katalysator wirkte.

Die Methode der Ordnungstheorie ist eigen – stark von der Phänomenologie inspiriert – und scheitert als rationalistisches Konstrukt. Sie kann sogar als „versteckter Sieg des Historismus innerhalb des theoretischen Denkens“ betrachtet werden. 931 In diesem Sinne erfüllt die Ordnungstheorie Euckens Wunsch nicht, „den Historismus zu überwinden“. 932 Im Gegenteil erweist sie sich aus Sombarts Blickwinkel mit dem Wissenschaftssystem der historischen Schule voll kompatibel. Da Euckens Versuch insofern fehlschlägt, ist es gerechtfertigt, seine synthetische Arbeit als „final end of the historical school“ anzusehen. 933

Dennoch gilt es, Euckens Ordnungstheorie als überzeugende Synthese der Schmoller/Menger-Debatte einzustufen. Ihre doppelte Lehre leuchtet ein: Die Theorie ist überlegen, doch empirische Untersuchungen haben stets ihren Platz in der Analyse von Wirtschaftssystemen. Denn wirtschaftliche Phänomene wiederholen sich niemals im „invarianten Gesamtstil“, sondern sind immer durch historisch gewachsene Rahmenbedingungen beeinflusst. 934 Der Fortschritt gegenüber Lists Theorie der produktiven Kräften erfolgt hauptsächlich durch die Instrumentalisierung dieser Idee. Obwohl die Ordnungstheorie den methodischen Ansprüchen des kritischen Rationalismus nicht genügt, bietet Euckens wissenschaftliches System mit einer „intuitiv strukturalistischen Methode“ eine Alternative 935 , die es – durch das Reduzieren von Wirtschaftssystemen auf Eigenschaften des Wirtschaftsplans –sogar wie Mengers reine Theorie erlaubt, eine „konkrete Erscheinung in theoretischer Weise zu verstehen“. 936 Euckens Artikulation zwischen Idealtypen und Realtypen bildet eine wertvolle Heuristik, um zu verstehen, wann bzw. wo die reine Theorie „aktuell“ ist oder nicht. 937

Wenn Eucken das endgültige Ende der historischen Schule markiert, heißt dies jedoch nicht, dass dieses Kapitel der Nationalökonomie in Vergessenheit geraten sollte. Zahlreiche Begriffe und Arbeiten der historischen Schule behalten ihre Gültigkeit. Mit etwas geschichtlicher Distanz hat sich erwiesen, dass Arthur Spiethoffs Diagnose der Weltwirtschaftskrise korrekt war. Lediglich wegen seines Relativismus scheiterte er daran, eine Medikation zu empfehlen. Wichtiger noch: Spiethoffs Theorie der wirtschaftlichen Wechsellagen ist auf keinen Fall überholt. Sein Musterkreislauf erklärt den Börsencrash vom Jahr 2001 bis hinein in die wirtschaftliche Sanierungsphase der folgenden Jahren einwandfrei. Darüber hinaus werden heute theoretische Lehrsätze mit Hilfe ökonometrischer Verfahren stets getestet, so dass dem gegenseitigen Austauschprozess zwischen Theorie und Empirie auf dem Weg zum Erkenntnisgewinn mehr Bedeutung zukommt. Während Menger ein solches Verfahren ablehnte, hat der wissenschaftliche Fortschritt der historischen Schule Recht gegeben. Schließlich ist die deutsche Tradition der Nationalökonomie mit ihrer ursprünglichen Kritik an Smith den Reichtum der Nationen betreffend nicht nur wissenschaftlich sondern auch wirtschaftspolitisch hoch aktuell. Lists „produktive Kräfte 938 sind nichts anderes als das Solow-Residuum, dem die Wirtschaftswissenschaft immer noch auf der Spur ist. Der Anteil des Solow-Residuums am gesamten Wirtschaftswachstum erscheint so bedeutend, dass die Europäische Union im Jahr 2000 auf dem Lissabon-Gipfel entschieden hat, diesen Teil des Wirtschaftswachstums zu fördern (F&E-Ausgaben, Internet-Zugänge für Schulen, Bildungsabschlussraten, etc.), damit die EU bis 2010 zur dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsregion der Welt wird. 939

Angesichts dieser Herausforderungen sowie im Hinblick auf die heutige Relevanz der historischen Schule sollte die innere Weiterentwicklung der Ordnungstheorie nicht das alleinige aktuelle Arbeitsfeld sein. Es ist zwar eine nötige Übung, die überholten Elemente in der Ordnungstheorie zu ersetzen. Doch diese Arbeit stellt die Konsequenz dessen dar, dass Euckens Theorie keine rationalistische ist und durch die Art ihres Aufbaus ein endgültig geschlossenes Erklärungssystem bildet. Sie ist gegenüber dem theoretischen Fortschritt nicht offen und bedarf einer ständigen Anpassung an den neuesten Wissensstand – so wie die Klassifizierungstafel der chemischen Elemente wächst – bis sie durch zahlreiche Injektionen aus Hayeks Theorie nicht mehr zu unterscheiden sein wird.

Doch Euckens wichtigste Lehre bleibt das Zusammenspiel zwischen Ideal- und Realtypen im Sinne von Aristoteles, nicht im Sinne von Sombart oder Weber. Genau in dem Punkt hat Eucken den Historismus überwunden, denn diese Artikulation erlaubt, Theorie und Empirie in Einklang zu bringen. In derselben Richtung könnte die Arbeit auch fortgesetzt werden. Diesbezüglich interessant wäre es, Spiethoffs Theorie der wirtschaftlichen Wechsellagen im Lichte des heutigen Wirtschaftsprozesses mit den modernen theoretischen Sätzen neu zu formulieren. Euckens Ordnungstheorie könnte sich dabei als sehr nützlich erweisen, da die Wechsellagen anhand unterschiedlicher Wirtschaftsordnungen untersucht werden könnten. Hier sei nicht nur an Ordnungen gedacht, die Euckens Systemen der Verkehrs- oder Planwirtschaft nahe kommen, sondern auch an sich rasch entwickelnde Wirtschaftsordnungen. Dafür sprechen die erheblichen Fortschritte in puncto Datenbanken sowie ökonometrische Verfahren, die seit Eucken und noch deutlicher seit Karl Knies gemacht wurden. Somit hätte die Ordnungstheorie der historischen Schule kein endgültiges Ende gesetzt, sondern neue Impulse gegeben.

Auf den folgenden abschließenden Seiten sollen die obigen Schlüsse detaillierter dargestellt werden.

Notes
931.

Albert [1984: 47].

932.

Eucken [1938b: 191-194].

933.

Schefold [1995b].

934.

Eucken [1940: 15-23].

935.

Herrmann-Pillath [1987: 38; 62].

936.

Menger [1883 : 17].

937.

Eucken [1940: 173].

938.

List [1842: 262].

939.

Europäische Gemeinschaft [2000 : XXX]; Broyer & Maillard [2005].