2.2. Die zweite Lehre von Walter Eucken: Der Platz historischer Untersuchungen

Die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre forderte die historische Schule heraus. Sie musste erhebliche theoretische Erkenntnisse hinzugewinnen, um ihr Scheitern nach der Hyperinflation wieder gutzumachen. Schumpeter zufolge entstand so aus der Not heraus die modernste Konjunkturtheorie jener Zeit. 941 Besonders Arthur Spiethoff und Alfred Müller-Armack waren auf selbigem Gebiet sehr aktiv. Eine Quintessenz ihrer Arbeiten beruhte darauf, verstärkt theoretische Elemente anzuwenden. 942 Dieses methodologische Grenzenüberspringen erklärte Spiethoff zum Ziel einer Synthese der Programme von Schmoller und Menger. Seine Krisentheorie spiegelt ein fassbares Ergebnis dieser Synthese wider.

Walter Eucken widersetzt sich einer solchen Theoretisierung der Großen Depression. In seinem Artikel „Staatliche Strukturwandlungen und Krisis des Kapitalismus“ debattiert er von der Wirtschaftskrise seiner Zeit ausgehend einen geschichtlichen Standpunkt, weil die festgestellten Probleme für ihn nicht rein wirtschaftlicher Natur sind, sondern historischen Charakter haben. So beginnt seine Analyse exakt dort, wo Spiethoff mit seiner theoretischen Erklärung aufhörte. Anders als die Konjunkturtheorie von Spiethoff, die unter einem stark ausgeprägten „historischen Relativismus“ litt, liefert Euckens geschichtliche Untersuchung der Kapitalismuskrisis ein wirtschaftspolitisches Konzept zur Krisenbewältigung.

Betrachtet man die zwei Analysen von Eucken der deutschen Hyperinflation und der Weltwirtschaftskrise zusammen im Vergleich zum Erklärungsbeitrag der historischen Schule, kommt die Novität von Euckens Haltung vollends zum Vorschein, während sie in seiner Dissertation oder Habilitation nur ansatzweise zu spüren war. Wo die deskriptiv-statistischen Kenntnisse nicht ausreichen, mobilisiert er mit Erfolg die Lehrsätze der deduktiv-theoretischen Richtung der Nationalökonomie. Wo Letztere fehlschlagen, macht er sich die analytische und normative Gewalt historischer Forschung zu Nutze. Dieses Vorgehen weiterzufolgen, erkennt Walter Eucken als Aufgabe und widmet ihr die „Ordnungstheorie“.

Notes
941.

Schumpeter [1933].

942.

Müller-Armack [1929: 649].