3.2. Die Ordnungstheorie passt in den Rahmen der historischen Methode: Die Wirtschaftsordnung als „Gestaltidee“ und der Wirtschaftsplan als „Arbeitsidee“

Obwohl die rationalistische Kritik am „Denken in Ordnungen“ wohlbegründet ist, sollte man ihr kein zu großes Gewicht geben. Denn die Ordnungstheorie darf nicht allein auf den Prüfstein des Rationalismus gestellt werden. Vielmehr gewinnt sie an Struktur, wenn man sie unter die historische Lupe von Sombart nimmt.

Ihm zufolge besteht ein Wissenschaftssystem aus drei Niveaus: einer „Grundidee“, einer „Gestaltidee“ sowie mehreren „Arbeitsideen“. 973 Erstgenannte definiert und begrenzt das Feld der wissenschaftlichen Untersuchung. Die Gestaltidee bezeichnet ein dem Forscher eigenes Konzept, das seiner Theorie eine spezielle Perspektive gibt – einen Rahmen, in dem sie sich entwickeln wird. Laut Sombart verfügt z.B. die Kunstgeschichte über das Stilkonzept als Gestaltidee, um die historische Entwicklung der Kunstrichtungen zu ordnen, zu strukturieren und zu erklären. Arbeitsideen seien „Vernunftbegriffe, die uns dazu dienen sollen, innerhalb des von Grund- und Gestaltidee geschaffenen Rahmens den nationalökonomischen Erkenntnisstoff zu gliedern“. 974 Grundidee, Gestaltidee und Arbeitsideen bildeten unterschiedliche aber die drei nötigen Niveaus, um ein wissenschaftliches System vollständig zu definieren. Dasjenige von Walter Eucken lässt sich durchaus in diese drei Ebenen gliedern:

  • Die Grundidee seiner Ordnungstheorie kann im Überwinden der Knappheit gesehen werden. Sie richtet den Fokus auf die Frage nach dem Koordinierungsmodus wirtschaftlicher Tätigkeiten.
  • Als Gestaltidee ist die Ordnung zu verstehen, auf der Euckens gesamte Theorie gründet. Aus diesem Blickwinkel sind das Denken in Ordnungen und das Denken in geschichtlichen Entwicklungen zwei entgegengesetzte Gestaltideen.
  • Die Arbeitsidee besteht bei Eucken in der Zergliederung der Wirtschaftsordnung in verschiedene Elemente nach den Eigenschaften des Wirtschaftsplans. Denn: „Zu allen Zeiten und überall vollzieht sich das menschliche Wirtschaften in Aufstellung und Durchführung von Wirtschaftsplänen.“ 975

Mit dem Wirtschaftsplan als Arbeitsidee ist Eucken darüber hinaus in der Lage, auf theoretischem Terrain zu arbeiten. Damit kommt er „reinen fundamentalen Elementen“ immer näher. Der Plan wird in eine bestimmte Anzahl von „Plandaten“ sowie „Erfahrungsregeln“ aufgesplittet, die der Planträger bei seinem auf dem „Wirtschaftsprinzip“ beruhenden Definitionsprozess berücksichtigt. Eucken verfügt also mit dem Wirtschaftsplan über eine analytische Einheitsgröße, die man auch bei Menger wiederfindet. Im dritten Buch der „Untersuchungen“ demonstriert Letzterer, wie die reine Theorie alleine und ohne historische Forschung imstande ist, jede Sozialerscheinung unabhängig von ihrer Komplexität oder von ihrer Individualität zu verstehen. Menger zieht das Beispiel solcher organischen Institutionen heran (die den individuellen Charakter von Wirtschaftsphänomenen verstärken), deren Entstehungs- sowie Transformationsprozess keinem strikt sozialen Kalkül unterliegt und damit die Analysefähigkeit der reinen Theorie auf die Probe stellt. 976 Doch Carl Menger gelingt es, mit Hilfe seines Ansatzes den Mechanismus dieses Prozesses zu begreifen. Für ihn entstehen und entwickeln sich organische Institutionen als „Resultate individueller Interessen dienenden [menschlichen] Bestrebungen“. Schafft man es, die menschlichen Interessen zu erklären, dann lässt sich eine „exakte Interpretation der organischen Phänomene“ erzielen. 977 Mit diesem Ergebnis sind alternative Analysen sozialer Erscheinungen nicht mehr nötig. Die reine Theorie setzt sich durch. In Beziehung zur Wirtschaftsordnung spielt der Wirtschaftsplan bei Eucken dieselbe Rolle wie die individuellen Interessen bei Menger. Er bildet die Basiskategorie für exakte Analysen von Wirtschaftssystemen oder -ordnungen, während sie bis dahin von der empirischen Methode dominiert wurden. Der Unterschied zwischen Menger und Eucken liegt allein im jeweils angewandten Verfahren, um diese Kategorie zu isolieren.

Dem Wirtschaftsplan kommt in der Ordnungstheorie eine Doppelrolle zu. Einerseits ist er das theoretische Element, welches das Individuelle mit dem Generellen zu verbinden sucht, um – wie Menger es ausdrücken würde – „eine konkrete Erscheinung in theoretischer Weise zu verstehen“. Andererseits ist er als synthetisches a priori Urteil die methodische Lösung, um weder der empirischen noch theoretischen Richtung zu verfallen und so die Schwächen der beiden antagonistischen Methoden zu überwinden.

Notes
973.

Sombart [1930: 178-191].

974.

Ebd. 185.

975.

Eucken [1940: 78].

976.

Menger meint hier das Rechtssystem, die Sprache, Märkte, Gemeinden, Staaten, etc., die alle „keineswegs das Ergebnis einer auf die Begründung derselben, als socialen Institution, gerichteten Übereinkunft oder der positiven Gesetzgebung, sondern das unreflectierte Product geschichtlicher Entwicklung“ sind (Menger [1883: 141]).

977.

Ebd. 139-183, Zitate S. 180-181; 151.