4. Zahlreiche Weiterentwicklungen in theoretischer doch keine in empirischer Richtung

Aufgrund ihrer brillanten Formulierung ist die Ordnungstheorie bis heute ein lebendiger Bereich der deutschen Nationalökonomie geblieben. Die Forschungsarbeit schreitet überwiegend auf theoretischem Gebiet voran. So wurde verdeutlicht, dass die Ordnungstheorie nichts an Aktualität eingebüßt hat, indem man zahlreiche Verbindungen zur Neuen Institutionenökonomik knüpfte – sei es über die Theorie der Eigentumsrechte, den Transaktionskostenansatz oder die Constitutional Economics. 980

Daneben gab es Bemühungen, überholte Komponenten der Ordnungstheorie zu ersetzen. Diese Arbeit ging hauptsächlich in drei Richtungen voran. Erstens wurde Euckens statische Analyse durch einen dynamischen Ansatz ersetzt. Untersucht werden so neben der Effizienz auch die Entstehung und Durchsetzung von Ordnungen mit Hilfe von Hayeks Unterscheidung zwischen „Order of rules“ und „Order of actions“. Die Absicht dabei ist ebenfalls, die Interdependenz von Ordnungen nicht mehr zu postulieren, sondern zu erklären. 981 Hiermit bewegt sich Euckens Erbe der historischen Schule definitiv hin zu Mengers Erklärungsschema von Institutionen. Zum Zweiten stieß Euckens Wettbewerbsordnung auf Kritik. Seine Parallele zu Stackelbergs Theorie der Marktformen, wo Zahl und Größe der Marktakteure den Wettbewerb determinieren, wurde nicht mehr als zeitgerecht erachtet. 982 Dagegen ging man dazu über, wie in Hayeks Theorie Wettbewerb als Prozess der Informationsgewinnung anzusehen. 983 Damit wurde drittens auch der wirtschaftspolitische Ansatz von Eucken kritisiert. Seine utopische Konzeption eines von der Wissenschaft geführten eudämonistischen Staates – womöglich noch aus den alten Kameralwissenschaften geerbt – haben pragmatische Aspekte der Constitutional Economics ersetzt, die dem politischen „Unternehmer“ in einer „Rent-Seeking Society“ die Rolle als ordnende Potenz der Gesellschaft kaum noch zutrauen.

All diese theoretische Entwicklungsarbeit stellt im Grunde die Konsequenz dessen dar, dass Euckens Ordnungstheorie keine rationalistische Theorie ist und durch die Art ihres Aufbaus ein endgültig geschlossenes Erklärungssystem bildet. Sie ist gegenüber dem theoretischen Fortschritt nicht offen und bedarf einer ständigen Anpassung an den neuesten Wissensstand – so wie die Klassifizierungstafel der chemischen Elemente wächst bzw. was Eucken gerade vermeiden wollte – bis sie durch zahlreiche Injektionen aus Hayeks Theorie nicht mehr zu unterscheiden sein wird.

Doch selbiger Entwicklungsprozess der Ordnungstheorie begeht den gleichen Fehler wie Euckens Versuch einerÜberwindung des Historismus“. Eucken ist dies nicht gelungen, wie er es sich vorgenommen hatte, weil er keine rationalistische Theorie hervorbrachte. Dennoch hat er den Historismus insofern überwunden, als er sich die Artikulation von Aristoteles zwischen Idealtypen und Realtypen entgegen derjenigen von Sombart zu Eigen machte und damit zeigte, wie man Theorie und Empirie in Einklang bringen kann. Das spricht dafür, Euckens Arbeit nicht nur in theoretischer sondern auch in empirischer Richtung fortzusetzen. Ohne die Ordnungstheorie per se auf den neuesten Stand zu bringen, kann man sich der neuesten theoretischen Sätze bedienen (Idealtypen), um den heutigen Wirtschaftsprozess (Realtyp) konkret zu erklären. Dies entspricht eigentlich dem, was Eucken mit seiner konkreten Untersuchung der „Verbandsbildung in der Seeschifffahrt“ sowie der „Stickstoffversorgung der Welt“ oder mit seinen „Kritischen Betrachtungen zum deutschen Geldproblem“ erfolgreich getan hat.

Notes
980.

Hutchison [1981]; Schmidtchen [1984]; Schüller [1987]; Vanberg [1988]; Tietzel [1990].

981.

Streit [1995]; Vanberg [1988].

982.

Schefold [1995a]; Schefold [1995b].

983.

Streit [1995].